Die Phänomene

Ich reise heute nach Rom, um morgen dort bei einer Konferenz über Parapsychologie einen Vortrag über meine medialen Erlebnisse zu halten. In dem Beitrag Die Lady am Lift hatte ich den Anfang eines Essays von mir zitiert, um die Psi-Geschichte vorzustellen. Hier kommt die Fortsetzung: Was ist ein Psi-Phänomen?

Wir kommen wieder zu den Griechen der Antike, für die »phainómenon« die Erscheinung war: ein konkretes Einzelnes. Wir müssen herausfinden, was hinter dem Phänomen steckt. Ist da was; ist da was dran? Oder stehen wir vor einer unbedeutenden Laune der Natur, einem Zufall, einem Produkt des Wahns? Ist Psi eine Sache der Irren, der Künstler, der Mystiker – oder ist diese Fähigkeit in jedem vorhanden?  

Die zahlreichen Berichte normaler Menschen legen nahe, dass Letzteres zutrifft; aber freilich treten paranormale Erfahrungen bei psychisch Kranken, bei sensiblen Menschen und solchen, die an Psi glauben, häufiger auf. Die Phänomene kommen ungefragt, keine Erfahrung gleicht genau der anderen und jede ist einzigartig. Vor allem: Wir müssen uns auf die Zuverlässigkeit der Zeugen verlassen. Das erschwert eine strenge wissenschaftliche Behandlung.   

Es gibt jede Menge spontaner Psi-Phänomene, und das ahnt schon, wer etwa Die Christliche Mystik (1851) von Joseph von Görres konsultiert und von Nonnen und Priestern liest, die Wohlgeruch und Lichterschein verströmten, unsichtbar wurden oder immun waren gegen Feuer. Wer sich im Präsenzbestand des Freiburger »Instituts für Grenzgebiete der Psychologie« umtut, sollte aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Nennen wir Erfahrungen von Déjà-vu, Spontanheilungen, Erleuchtungserlebnisse, Synchronizitäten (oder Koinzidenzen), luzide Träume, außerkörperliche Erfahrungen und Nahtod-Erlebnisse, prophetische Träume, das Sehen von Geistern (Verstorbener), das Hören von Stimmen oder das Gefühl einer Anwesenheit.   

Die Forschung musste Ordnung schaffen. Bald kristallisierte sich Folgendes heraus: Unter außersinnlicher Wahrnehmung (ASW — in England heißt das ESP, extrasensorial perception) verstehen wir Telepathie oder Gedankenlesen, Hellsehen (das Wahrnehmen von Objekten und Ereignissen, die sich weit von uns entfernt befinden oder stattfinden) sowie Präkognition, einen Blick auf zukünftige Ereignisse. Neben der außersinnlichen Wahrnehmung haben wir als zweite Säule die Psychokinese (PK). Hier wirkt der »Geist« auf Materie ein. Das griechische Wort »Kinese« heißt Bewegung. PK macht aber nur 3 Prozent aller Spontanphänomene aus. 

Illustration: Rolf Hannes

Schon  Arthur Schopenhauer sah 1851, »daß der Raum zwischen dem Wirkenden und dem Bewirkten, er sei voll oder leer, durchaus keinen Einfluß auf die Wirkung habe«. Die Zeit hat ebensowenig Einfluss, es passiert augenblicklich, und so ist Mechanismus von Psi-Phänomenen anders als in der klassischen Physik. Die Erscheinungen hingegen sind weder Telepathie noch Psychokinese, sondern ein eigener Forschungsbereich. Parapsychologen waren, obwohl sie oft verteufelt und von ihren Gegnern in die Nähe von Magiern gerückt wurden, immer rationale und skeptische Leute. Sie gaben sie sich ungern mit Geistern und Spuk ab, und auch die vierte Säule, die Jenseitsforschung, behandelten sie stets nur so nebenher.  

Die Begriffe jedoch sind nur Hilfskonstruktionen. Oft sind Telepathie und Hellsehen nicht zu unterscheiden, dann wieder Telepathie und Psychokinese nicht. Was machen wir zum Beispiel mit »sinnvollen Zufällen«, den Koinzidenzen und Synchronizitäten? Das sind nette kleine Episoden, die den Blick freigeben auf eine Ordnung und Wirkung hinter den Dingen. Die Außenwelt scheint auf uns zu reagieren. Wir legen dem Geschehen seine Bedeutung bei, doch was Bedeutung genau bedeutet, wissen nicht einmal die Linguisten. Sinnvolle Zufälle kommen ohne paranormale Komponente zustande.  

Bei Geistern und dem Jenseits jedoch ist immer außersinnliche Wahrnehmung im Spiel. Fassen wir unsere Definition etwas weiter: Bei paranormalen Erlebnissen handelt es sich um den Erwerb von Informationen, die jemand über einen uns noch nicht bekannten Sinneskanal erhält. Das illustrieren die Ausdrücke vom »sechsten Sinn« oder dem »zweiten Gesicht«.  

Wissenschaftlich fasste es der US-Parapsychologe Helmut Schmidt: Paranormal sei die Korrelation (oder der Zusammenhang) zwischen zwei Ereignissen, die nach unserem Verständnis eigentlich nicht zusammenhängen dürften. So zu denken, fällt uns schwer, sind wir doch mit dem klassischen Schema von Ursache/Wirkung aufgewachsen. Nun erfahren wir, dass es  Erscheinungen gibt, die wie verursacht aussehen, es aber eigentlich nicht sind. Psi-Phänomene sind unerklärte Phänomene, aber vielleicht nicht unerklärliche. Wir wissen einfach noch nicht genug.  

 

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