Vom Verschwinden der DDR (9 und Schluss): Reisen und Rock

Einer aus München ist in Oberbayern verwurzelt. Mit 27 machten wir eine Ostberlin-Reise mit der Journalistenschule, 1994 besuchte ich Fritz in Berlin-Treptow (ehemals Ost), mit meiner Mutter war ich 2007 in Thüringen, 2010 an der Ostsee, 2014 in Dresden, und jetzt, neulich, in Chemnitz und Bautzen. Und beim Mauerfall, wo war ich da?

berlinwinterDas fiel mir bei einem Fernseh-Beitrag über eine Ausstellung in Neumünster zu Mauer und DDR ein. Der ehemalige stern-Fotograf Harald Schmitt sagte dem NDR, er sei just beim Mauerfall woanders gewesen. Pech. Ich war mit einer Freundin auf einer Reise in Bern, wir gingen gut essen, im Bett hat’s nicht geklappt. In der Arbeit auch nicht. Auslandschef (der mit der Fliege, längst in der Geistigen Welt) sagte mir: Sie hätten sich auch für eine Stelle in den neuen Ländern bewerben können. Das war aber nur Gequatsche. Die waren froh, dass ich wegging. (Links: Berlin von oben)

Thüringen, das war Jena mit Fichte und Schiller, Weimar mit Goethe und Schiller, das war Erfurt und Gera. Jetzt sogar Sachsen, und man gewöhnt sich an das eigenwillig gefärbte Deutsch. Man fährt durch Städte, geht in den Supermarkt, trinkt Kaffee: alles normal. Keine rechten Krawallmacher getroffen. Eine Frau — Anfang 50, kurze Haare — in Chemnitz sagte mir, sie sei auch in der Partei gewesen, und in der DDR habe man leben können. Denke ich mir auch, wenn man in Privatheit und im Windschatten der Politik dahinsegeln konnte.

007Dann fiel mir ein, was ich für diese Serie vergessen hatte: den Film über Rockmusik in der DDR. Steffen Krause und Stefan Hope haben Ostrock – die Geschichte des DDRock gemacht, 1995 wurde er gesendet. Teil eins: 1964 bis 1980, Teil zwei 1981 bis 1990. Erst war ich zu faul, dann warf ich den VHS-Rekorder an, die Kassette mit DDR-Rock drauf wurde geschluckt, der 23 Jahre alte Fernseher gab Bilder und Ton wieder.  Nach 10 Jahren musste ich mir das wieder reinziehen. Die Puhdys mit Türen öffnen sich zur Stadt (1969), das war schon ziemlich progressiv. Renft waren gut, die Puhdys die Stars der 1970-er Jahre. 60 Prozent DDR-Rock in den Medien war die Vorgabe. Die Funktionäre gängelten: zu lange Haare bei Bandmitgliedern; ungehörige Texte, unpassende Musik. Einige stellten Ausreiseanträge (viele nach der Biermann-Ausbürgerung 1976, das trägt uns wieder zum Beginn der Serie zurück, zu Manfred Krug).

Nina Hagen als einzige habe wirklich gehen müssen, sagte eine Expertin, sie sei zu schrill für die kleinbürgerliche DDR-Welt gewesen. Einige, die gegangen seien, hätten ihr schöpferisches Umfeld aber hier in der DDR gehabt. Die verbliebenen machten schöne Lieder und verpackten Kritik in Lyrik. Karat machten sich einen Namen, City spielte Am Fenster, hab ich gern gehört. Wurde ein Hit. Electra waren die ELP (Emerson, Lake und Palmer) der DDR. Live-Musik gab’s viel, aber der Alltag für die Musiker war stressig, die Fahrzeuge gingen oft kautt, machmal kam die Band nicht an. (Den zweiten Teil des Films habe ich mir nicht mehr angesehen.)

032Und dann kam das Zitat, an das ich mich am lebhaftesten erinnerte. Peter »Cäsar« Gläser von Renft sagte:

Die DDR war ja klein. Die Kapellen fuhren aneinander andauernd vorbei. Die einen musste von Rostock nach Suhl, die anderen von Suhl nach Rostock, und man hat sich in der Mitte getroffen, um zusammen was zu essen. Überall hat man sich getroffen. 

Das ist ein schönes Beispiel für Intimität. Zwei Bands, vielleicht in zwei Barkas B 1000 auf schwach beleuchteter Landstraße unterwegs … und nach dem Konzert treffen sie sich wieder, müde und zufrieden. Peter Gläser schrieb viele Titel, gründete Cäsar und die Spieler, er war ein sympathischer Typ, immer mit der Zigarette in der Hand. Er gab am letzten Tag des Jahres 2007 sein letztes Konzert: im Arena-Club in Chemnitz. Im Oktober 2008 ist er gestorben, mit knapp 60. Am 7. Januar 2019 wäre er 70 geworden. Das hat man gefeiert.

In seiner Autobiografie Wer die Rose ehrt gab Gläser bekannt, er sei 22 Jahre lang Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der DDR-Staatssicherheit gewesen. Wird in einem mdr-Beitrag und in einem anderen Nachruf nicht erwähnt. Hat man ihm vielleicht verziehen, weil er so tolle Songs geschrieben hat. Doch so werden wir aus Intimität und Windschatten der Politik wieder herausgerissen und zurückgeworfen an den Anfang. Mitmachen, sich ducken oder rebellieren? Muss jeder selbst entscheiden. Das Gewissen spricht eine deutliche Sprache, lässt sich aber auch zum Schweigen bringen. Zahlen muss man immer, entweder jetzt: durch Repressalien — oder später: durch Schuldgefühle.

 

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