Sternenwind

Ich möchte die Predigt von gestern weiterführen und etwas provozieren: Der Mensch ist nicht formbar genug, könnte ich auch sagen. Es fällt auf, dass viele in ihrem eigenen Saft schmoren und nicht aus sich hinauskommen. Ihre Welt ist ihr Ich, und jenseits davon, jenseits vom Tellerrand, ist für sie alles diffus und unwichtig. So könnten sie Jahrhunderte ungestört und unstörbar dahinleben, käme nicht manchmal ein heilsamer Schock auf sie, der sie aus ihrer Trance aufrüttelt, denn sie sind schlafend und sollten erwachen.

DSCN1875Solche Leute beziehen alles auf sich, und mit ihnen kann man nicht sachlich diskutieren. Für sie ist alles sie selbst, sie können sich von außen nicht sehen (darum geht ihnen auch Humor ab) und auch kein Problem nüchtern betrachten. Dorthin treiben viele Smartphone-Zombies, die nicht mehr in der Lage sind, sich in andere einzufühlen. Die viel beschworene Empathie ist im Zusammenleben genauso nötig wie der genannte Vertrauensvorschuss. Sich immer vor dem anderen in Acht zu nehmen, muss zu Paranoia führen, fehlende Empathie zu Egoismus und asozialem Verhalten.

mauerliebeEremit sein ist auch keine Lösung. Wir brauchen einander, wir müssen einander helfen, aber auch einander konfrontieren, um uns zur Perfektion zu treiben. Wir sollen perfekte Menschen werden. Es geht um den Weg der Seele durch die Zeit. Dieses Leben ist nur eine Treppenstufe beim Aufstieg zur Verklärung. Wir müssen Fehler machen, anders lernen wir nicht, wir müssen uns und anderen verzeihen und fortschreiten. Wir sollen lieben, wobei es nicht um das bestimmtes Objekt/Subjekt geht, auf das wir unsere Zuneigung richten; wir sollen bloß lieben lernen. Nichts ist wichtiger. Und lieben lernen heißt auch, sich selbst zu vergessen, sich zu entäußern, sich zu verschenken, sich hingeben zu können.

009Diese Hingabe ist gleichbedeutend mit der Aufgabe des Selbst, und statt sich müheoll aus seinem Ich herauszuwühlen, kann man es auch gleich wegwerfen. Was ich war, weiß ich nicht mehr; was ich will, ist unbedeutend; meine Vorlieben sind austauschbar. Wie die Heiligen sollte man nichts als ein Liebender, eine Liebende sein, dort draußen, frei im All, dem Sternenwind folgend im Vertrauen darauf, dass man schon irgendwo im Schönen ankommen wird, doch schon der Weg dorthin wird schön sein.

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.