Psychologie und Dichtung

Über Dichtung hat der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung (1875-1961) einen Aufsatz geschrieben, Psychologie und Dichtung. Das war zwar schon 1929, aber alles, was Jung geschrieben hat, ist lesenswert. Der Dichter, der auch erwähnt wird, ist vielleicht nur für mich interessant, und so habe ich etwas über mich erfahren.

Am Anfang schreibt er gleich, die »psychologische Wissenschaft« sei die »jüngste aller Wissenschaften«, und damals war man optimistisch und euphorisch, aber ich denke, heute würde niemand mehr die Psychologie als Wissenschaft bezeichnen. Ich wollte ja auch einmal Psychologie studieren (aber meine Noten waren zu schlecht), doch heute mache ich einen Bogen / um jeden Psychologen. Ein schöner Reim.

Jung bemerkt: »… das Schöpferische aber, das in der Unabsehbarkeit des Unbewussten wurzelt, wird sich menschlicher Erkenntnis auf ewig verschließen.« (So hat man damals geschrieben, aufgebläht und großartig.) Dann unterscheidet er zwei Arten des Schaffens: die psychologische und die visionäre. Psychologisch sind die meisten Romane, in denen Leute miteinander umgehen; das Wort visionär führen zwar viele im Wort, doch echt visionär ist wenig. Jung, wieder begeistert, schreibt über das Visionäre, es »zerreisst den Vorhang, auf den die Bilder des Kosmos gemalt sind, von unten bis oben und eröffnet einen Blick in die unbegreiflichen Tiefen des Ungewordenen.« (Diese Un-Worte gefallen ihm. Illustration: Jung, gezeichnet von Olimpia Mazzei.)   

Was wäre visionär gewesen in der Kunst? Vielleicht der Film 2001 – Odyssee im Weltraum von Kubrick. Jung erwähnt natürlich oft Goethes Faust, und der große Meister war damals ja erst 100 Jahre tot, unvorstellbar, wie nah man 1929 (als auch meine Mutter geboren wurde) noch an ihm dran war. Die Vision ist bei C. G. Jung ein echtes Urerlebnis, ein wirkliches Symbol, psychisch real, und wo menschliche Leidenschaft innerhalb der Grenzen des Bewusstseins steht, steht der Gegenstand der Vision jenseits.  

Diese Geheimnisse, die die Vision ausdrückt, gab es schon immer. »Es gibt keine primitive Kultur, die nicht ein geradezu erstaunliches System der Geheim- und Weisheitslehre besäße, nämlich einer Lehre einerseits von den dunklen Dingen (…), andererseits der Weisheit, die menschliches Handeln regeln soll.« Die Vision ist ein Bild des kollektiven Unbewussten (neben dem Archetypus das, für das Jung steht), in dem alle Zustände der Menschheit gespeichert sind.  

Das Kunstwerk erhebt sich weit über das Persönliche: Je mehr Persönliches in einem Werk steckt, desto weniger Kunst ist es, was aber nicht Ich-Erzählungen verbietet, denn »der Künstler ist in höherem Sinne Mensch, er ist Kollektivmensch, ein Träger und Gestalter der unbewusst-tätigen Seele der Menschheit«. (Da wächst man gleich ein paar Zentimeter!) Das Privatleben glückt dem Künstler jedoch meist nicht, das ist der Preis: »Das Stärkste in ihm, eben sein Schöpferisches, wird das meiste an Energie an sich reißen, wenn er wirklich ein Künstler ist, und für den Rest bleibt dann zu wenig übrig, als dass noch irgend ein besonderer Wert sich daraus entwickeln könnte.« 

Das Werk bedeutet nach Jung dem Dichter mehr als sein persönliches Schicksal, und er ist im tiefsten Sinne Instrument. Da ist was dran; mich interessieren nur manipogo und meine Bücher und das, was ich noch schreiben kann. Süchtig!  

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