Begegnungen im alten Japan

Bei einem Flohmarkt mitgenommen: Das Kopfkissenbuch einer Hofdame von Sei Shonagon, die von 977 unserer Zeitrechnung bis um 1020 lebte. Natürlich ist das wieder eine privilegierte Situation, denn die Adeligen im alten Japan und ihre Bediensteten hatten nichts zu tun, schrieben Gedichte und gingen spazieren. Die Bauern schufteten, waren für die Clique am Hof vermutlich gar nicht existent.

Mamoru Watanabe schreibt in der Einleitung: »Die Moral war damals weitaus lockerer als in unserer Zeit. Die Hofdamen … durften gewöhnlich nicht von Männern gesehen werden. Will jedoch ein Mann eine Dame kennenlernen, von deren Schönheit und Klugheit er gehört hat, so muss er an die betreffende ein selbstverfasstes Liebesgedicht schicken. Gefällt der Dame das Gedicht, so wird ihm erlaubt, sie zu sehen. Es kümmert ihn dabei wenig, ob die Frau verheiratet ist oder nicht oder ob sie die Geliebte eines anderen ist.«  

»Die Wohnräume der Frauen waren mit Bambusvorhängen abgeschlossen. Die Männer sprachen mit den Frauen gewöhnlich durch diese Vorhänge. … Ein Eheleben nach unserer Vorstellung kannte man im damaligen Hofkreise nicht. Es war üblich, dass ein Ehepaar nicht zusammenlebte. Die Frau lebte alleine oder mit ihren Eltern, während der Mann auch irgendwo anders wohnte und nur nächtlich zu ihr kam. Am Morgen, noch vor Sonnenaufgang, musste er sie verlassen. Da man bei Hofe nichts Besonderes zu tun hatte, hielt man sich auch nicht genau an die sonst übliche Sitte, nachts zu schlafen und tags zu arbeiten. Vielmehr liebten es die Hofleute, am Tage zu schlafen und in der Nacht wach zu bleiben; denn sie schätzten die Schönheit der geheimnisvollen Nacht.«   

Lichter (Aufnahme von Helmut Krämer)

So vertrieb man sich die Zeit. Sei Shonagon erzählt, wie sie im Morgengrauen zwei Menschen belauscht hatte. Ein junger Mann war von seiner Geliebten gekommen und wollte ihr gleich einen Brief schreiben, kam am Zimmer eine guten Bekannten vorbei, die gerade aufwachte, und so tauschte er ein paar Bemerkungen mit ihr aus, während draußen ein Bote mit einem Brief wartete, den der Geliebte der verschlafenen Frau geschrieben hatte; aber nun musste er sich noch gedulden. »Ich konnte den Wohlgeruch, mit dem der Brief parfümiert war, bis in mein Zimmer hinein riechen«, schreibt die Autorin.  

Noch zu erwähnen: Wenige wissen, dass der erste Roman der Literaturgeschichte von einer Frau und aus jener Periode stammt, der Heian-Zeit. Das Buch heißt Genji Monogatari, verfasst von der Adeligen Murasaki Shikib, die im 10. Jahrhundert lebte und 992 starb . In der Handlung geht es um einen Prinzen und seine Geliebte. Die Inspiration soll die Autorin überkommen haben, als sie in der Nacht zum 15. August, einem hohen Feiertag, auf einen silbernen See blickte, in dem sich der volle Mond wiederspiegelte. Der Roman ist in seiner englischen Übersetzung auf der Seite Internet Sacred Text Archives verfügbar.

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