Flugverkehr (36): Reiher

Aus dem Bach wühlt sich manchmal, wenn ich gerade vorbeifahren will, ein großer Vogel, breitet seine Flügel aus und rauscht davon: ein Graureiher. Oder einer steht am Rand eines Felds, wenn ich vorbeikomme. Sie sind majestätisch, diese Reiher, und etwas Sonderbares beschleicht einen, wenn man sie sieht.

Derek Walcott hat sie bewundert und seinen Gedichtband von 2010 Weiße Reiher genannt (White egrets; aber der Reiher heißt auch heron), und die Titelgestalten haben auch mit dem Tod zu tun. Some friends, the few I have left, / are dying, but the egrets stalk through the rain / as if nothing mortal can affect them … Die paar Leute, die mir geblieben sind, sind am Sterben, aber die Reiher staksen durch den Regen, als könnte nichts Sterbliches sie berühren …«)

Dann sitzt er am Pool bei Freunden in St. Croix, mit Joseph, der im Baum einen ungeheuer großen Reiher sieht.

…The huge bird was
suddenly there, perhaps the same one that took him,
a sepulchral egret or heron; the unutterable word was
always with us, like Emmaus, a third companion
and what got him, who loved snow, what brought it on,
was that the bird was such a spectral white.
Now when at noon or evening on the lawn
the egrets soar together in noiseless flight
or tack, like a regatta, the sea-green grass,
they are seraphic souls, as Joseph was.

(Der ungeheure Vogel / war plötzlich unter uns, vielleicht derselbe, der ihn fort nahm, ein Grabes-Reiher; das unaussprechliche Wort war immer unter uns, wie zu Emmaus, ein dritter Begleiter, und was ihn, der Schnee liebte, entgeistert hat, war das gespenstische Weiß, das der Vogel trug. Wenn jetzt am Mittag oder abends auf der Wiese die Reiher zu lautlosem Flug abheben oder regattagleich im seegrünen Gras lavieren, sind sie, wie Joseph war, seraphische Seelen. – Übersetzung von Werner Koppenfels)

Sakasai no watasi, von Ando Hiroshige (1797-1858), Library of Congress Wash. D. C.

Diese weißen Reiher kommen nur in der Karibik und Florida vor, wohl auch in Japan, wie man oben sieht, und sie galten früher als eigene Spezies. Die anderen sind die Graureiher oder Fischreiher, auch blue herons genannt. Bonnie McEneaney verlor ihren Mann Eamon beim Angriff auf die Twin Towers 2001. Sie schrieb über die Botschaften der Verstorbenen an ihre Angehörigen 2010 das Buch Messages. Ihr Vater schon wurde in Florida jeden Morgen von einem Fischreiher begrüßt. Als Bonnie nun dabei war, einen Friedhof auszuwählen, auf dem sie die Überreste ihres Mannes bestatten wollte, saß plötzlich ein Fischreiher auf dem Weg, den der Pastor und sie befuhren; und das an einem kalten Februar!

Später, als es um den genauen Platz ging, schwebte wiederum ein Reiher in der Nähe der Stelle, die anscheinend am passendsten war. Es war ein riesiger Reiher, und er war anscheinend aus heiterem Himmel herangeflogen – weder Bonnie noch ihre Freundin hatten ihn gehört. »Wir wussten beide, dass Eamon hier bestattet werden wollte«, schrieb Bonnie McEaneney. »Es war der perfekte Platz. Ich spürte tiefen Frieden in mir. Bei all meinen Besuchen an Eamons Grab habe ich später nie wieder den riesigen Fischreiher angetroffen.«

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