Katzensaison

Der Frühling ist doch die Zeit wieder erwachender Erotik. Dazu zwei Beiträge, die Robert Musil (1880-1942) und übermorgen Horaz bestreiten. Musil schreibt spät in seinen Tagebüchern über die Dumme, aber er tut es wie gewohnt auf elegante Weise.  

Die Dumme. Sie war schlank und weich, ihr Körper schien wenig Halt an sich zu haben; in der Mitte bog er sich etwas vor und sie drückte wahrscheinlich die Knie nicht durch, wenn sie ging. Ihr blondes Haar ringelte sich unter der Kappe hervor, ihre Nase war lang und schmal, und auf ihrem Geicht lag immer ein Lächeln: es lag eigentlich vor ihrem Gesicht. Ihre Waden in braunen Strümpfen waren wenig gewölbt und weich: ein wenig erinnerten sie an ausgestopfte Strümpfe. Sie war Dienstmädchen bei X. Eines Tages war Herr X. allein mit ihr in der Wohnung, und sie hatte ihm gefallen. Er legte ihr ganz sanft den Arm und den Körper und küsste sie. Sie schien es erwartet zu haben, ohne dass sie es je gezeigt hätte. Weder wehrte sie sich noch tat sie etwas dazu. Aber als sich die Lippen des Herrn X. auf die ihren legten, kamen die ihren aus der Verschlossenheit hervor und öffneten sich dem Kuss. Man hätte glauben können, sie lasse sich küssen wie eine Frau von großer sinnlicher Erfahrung, aber sie war Jungfrau, und nur weil ihr Verstand schwach war, schob ihn ein tieferer oder älterer Instinkt sanft auf die Seite. Herr X. übte auf sie einen Druck in Richtung des Sofas aus … »Aber du musst doch deine Hosen ausziehen!« belehrte er sie dann. Angenehme und schmerzliche Empfindungen kamen durcheinander. Sie stand ebenso unbestimmt auf wie sie sich hatte hinlegen lassen. Sie sprachen nichts Wichtiges mehr. Sie sahen sich täglich wie sonst. Sie lächelte wie immer. Sie hatte keine große Erinnerung. Sie hätte nicht einmal sagen können, dass es schön oder besonders angenehm gewesen war. Doch wartete ihr Körper von Tag fzu Tag lebhafter auf eine Wiederholung. Das trat hervor wie der Mond nach Sonnenuntergang, der anfangs unscheinbar ist und am Ende voll und glänzend den Himmel beherrscht.

012

17.1. Wir sind in Zürich, Pension Fortuna. Die Katzensaison habe ich nicht mehr bis zum Ende mitgemacht. (Hinter der Glastür gleichsam auf einem Niveau mit ihnen.) Schon am 3. oder 4. Tag ist es etwas ordinär zugegangen. Die alte Schönheit, die gelbe Hauskatze, ist unter dem weißen Kater gelegen. Wie es gekommen ist, weiß ich nicht. Seine Zähne hielten sie ziemlich zart am Genick fest, aber ihre Hinterbeine lagen flach nach hinten ausgestreckt (ausgerissen) hinter ihr in einer völlig ohnmächtigen Stellung, recht weit geöffnet. An den Schenkeln sah man das Haar wie einen »Kaiserbart« und die Scheide war überaus zugänglich. Der Kater streckte sich, um die richtige Stelle zur Deckung zu bringen, war aber anscheinend zu kurz. Das geschah wortlos und musiklos, während sie mit den Hinterbeinen ruderte, um sie wieder unter sich zu bringen. Als es endlich gelang, schüttelte sie den Partner ziemlich mühelos ab und machte ein paar eigenwillige Seitensprünge, während er sich beschämt zurückzog.
Die Herrliche und der schöne Kater wälzten sich bald darauf im Gras, dass die Haare flogen. Anscheinend suchter er sie auf den Rücken zu wälzen, aber sie war zu stark und wehrte sich zu ernstlich. Sie gingen bös auseinander. Das Weibchen kehrte dann vergeblich wieder.
Am nächsten Tag kam sie an unserer Tür vorbei, mit einem merkwürdigen Ausdruck, als wäre ihr inzwischen zuviel widerfahren. Sie hatte nicht mehr das Märchenhafte, sondern etwas Verstörtes und zugleich Ungewaschenes wie nach einer Eisenbahnfahrt.

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