Auf nach Gleiwitz!

Morgen will ich mit dem Fahrrad nach Ostpolen reisen. Als friedlicher Tourist. Das betone ich, weil es eigentlich ein unpassendes Datum ist, denn am 1. September vor 80 Jahren drangen deutsche Panzer in das Land ein, und die sogenannten Einsatzgruppen machten Jagd auf Juden, Intellektuelle und Priester und erschossen Tausende. Am 6. Oktober 1939 war es vorbei.

Mich interessiert Oberschlesien und darin vor allem Glogau (eigentlich Niederschlesien, wo Gryphius lebte), Ratibor (Eichendorff), Oppeln und Kattowitz (wo meine Großeltern herkamen). Auch nach Auschwitz und Tschenstochau (nicht fein, beide in einem Atemzug zu nennen) will ich fahren. Und nach Gleiwitz. Man verbindet Gleiwitz (Gliwice) ja mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Mit einem angeblichen Angriff auf den Sender Gleiwitz (und anderen 13 Grenzzwischenfällen) rechtfertigte Hitler seinen Einmarsch.

Den Überfall auf den Sender, der übrigens mit 118 Metern den weltweit höchsten Holzturm aufweist, übten die Nazis bequemerweise selber aus und schoben ihn den Polen in die Schuhe wie auch alle anderen Zwischenfälle, nach denen – am frühen Morgen der »Führer« erklärte: »Seit 5:45 Uhr wird zurückgeschossen.«

Gleiwitz (Gliwice) ist eine Großstadt von der Größe Freiburgs (185.000 Einwohner) und die viertgrößte Stadt Schlesiens. Mitte Mai wurde der Fußballverein Piast Gliwice völlig überraschend polnischer Meister, durch ein 1:0 gegen Lech Posen. Die Hauptstädter von Legia Warschau, die zuvor drei Mal hintereinander die Ekstraklasa gewonnen hatten, lagen nur ein Tor und einen Punkt zurück, dann folgte Lechia Danzig. Die Schlesier jubelten, und der Kicker erinnerte an Leicesters Meisterstück in der Premier League 2016. Wie die Briten hatten die Schlesier im Jahr davor noch den Abstieg knapp vermieden – dann ging es kometenhaft an die Spitze der Liga.

Die Schlesier, na ja … eigentlich müsste ich die Polen schreiben, und ein polnischer Korrrespondent in Berlin würde vielleicht schreiben in der deutschen Stadt  Regensburg, die für mich immer eine bayerische ist. Schlesien war mal deutsch, und Oppeln, die Hauptstadt Oberschlesiens, besitzt noch 10 Prozent Deutsch Sprechende. Das ist vermutlich wie im Elsaß, dem Gegenstück im Westen, in dem noch manche (aber immer weniger) Deutsch oder ihren deutsch klingenden Dialekt sprechen.

Zwei Wochen nach dem deutschen Überfall kamen die Russen von Osten, und die beiden Mächte nahmen das Land Polen von der Landkarte, teilten es unter sich auf. Später, nach der deutschen Kapitulation, kam Polen zum Kommunismus, und in den 1980-er Jahren wurde die von Lech Wałęsa gegründete unabhängige Gewerkschaft Solidarność zur Vorkämpferin des Wandels.

Woicjech Jaruzelski, der starke Mann, wollte die Gewerkschaft in die Regierung einbinden, doch die Wahlen am 4. Juni 1989 wurden für seine Polnische Arbeiterpartei zum Desaster: Die Kommunisten gingen unter, alle Solidarność-Kandidaten wurden gewählt. Am 24. August vor 30 Jahren bestimmte man den gemäßigten Tadeusz Mazowiecki zum Staatschef. Der erste Dominostein des kommunistischen Empires war gefallen.

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