Im weißen Rössl zu Hildesheim

Pferdeland Niedersachsen. Wappen: weißes Pferd auf rotem Grund. Ganz logisch, dass man dort die Operette »Im weißen Rössl« aufführte. Das TfN (Theater für Niedersachsen) Hildesheim lud sich die gewaltige Aufgabe auf, schickte 240 Darstellerinnen und Darsteller ins Rennen, entrückte die ausverkaufte Halle an den Wolfgangsee und entzückte sie drei Stunden lang, auch wenn gar kein Pferd vorkommt, nur der Refrain »eine Kuh / so wie du / ist das Schönste auf der Welt«.

Es war leider am 19. Oktober die letzte und zehnte Vorstellung in Halle 39, jammerschade; das Feuerwehrkorps paradierte vorbei, der Jugendchor sang, tausende Einfälle und Tanzschritte, Trubel und Jubel, und dann kommen Josefa, die Chefin vom Rössl, und ihr Oberkellner Leopold endlich zusammen, und der Kaiser Franz Josef tritt auf und gibt dem Chaos seinen väterlichen Segen.

Den Bürgermeister von St. Wolfgang, den spielte in einer Vorstellung der Oberbürgermeister von Hildesheim, der am letzten Abend verhindert war, weshalb der Intendant Jörg Gade einspringen musste, der im August 2020 nach 13 Jahren das Theater verlässt, das auf eine über 100-jährige Geschichte zurückblicken kann.

Hildesheim hat 100.000 Einwohner und liegt 30 Kilometer südöstlich von Hannover. Wurde im zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstört. Der romantische Marktplatz ist in den 1980-er Jahren wieder errichtet worden. Die Innenstadt ist eine elegante Einkaufsmeile, die keine Wünsche offen lässt – viele Schuhgeschäfte, Optiker, Kleiderläden. Etwas abseits blieben noch Straßenzüge mit alten Fachwerkhäusern erhalten, vor denen Rosenstöcke wachsen. Der 1000-jährige Rosenstock im Innenhof des Doms ist denn auch die Attraktion, und der Dom entstand im Jahr 815. Hildesheim ist eine sehr katholische Stadt.

Schön, das Ensemble spielte das Rössl original und nahm das Stück ernst. Auch ernst genommen, ist es eine Burleske, die als Lustspiel 1897 und als Operette 1930 in Berlin Premiere feierte. Da will der Berliner Trikotagenfabrikant eine »deutsche Speisekarte«, und er sagt zu Leopold, als der nicht weiß, was Kartoffelpuffer sind: »Was, und Sie leben noch?« Die Todesstrafe, scherzhaft ausgesprochen von den Ur-Berlinern für die Un-Berliner, da ahnt man den Geist der damals heranbrechenden Nazi-Zeit. Das charmante Stück, das nach allerlei Verwechslungen drei Paare zusammenbringt, ist natürlich vom Geist des Bürgertums getragen.

Ich kann nichts Schöneres mir denken, als dir mein Herz zu schenken, singt der Leopold, – wenn du mir deins dafür gibst, und mir sagst, dass auch du mich liebst. Geb ich dir drei, will ich auch drei zurück – das »bürgerliche Kalkül« Adornos. Und bist du auch so treu / wie das Blau deiner Augen? Treu sollst du sein, du gehörst ja mir, und wenn du mich betrügst, mach ich dich platt. Dann kommt noch Franz Josef, der gute Kaiser, Vertreter Gottes auf Erden und der Patriarch per se, der in Österreich das ganze wilhelminische Übervatertum aufführt, das Frauen nur eine Nebenrolle zugesteht und Sexualität gar nicht erwähnt, sie ist tabu.

Doch das ist zu weit gedacht, das Weiße Rössl soll Spaß machen und hat unsterbliche Melodien im Gepäck. Mit ihm hat das Hildesheimer Theater vielen Menschen viel Freude geschenkt, und jede gelungene Aufführung ist ein Plädoyer für das Theater, das lange leben möge.

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.