Großes Geheimnis

Die Dakota (oder Sioux) benennen die göttliche Schöpferkraft Wakonda oder Wakan Tanka — Großes Geheimnis. Wakan durchwaltet die gesamte Natur. Ein Buch über die Weisheit der Indianer — Weißt du, dass die Bäume reden? —, 1991 bei Herder erschienen, führt Zitate von nordamerikanischen Indianern auf, die nie an Aktualität verlieren. 

Ein wichasha wakon — ein weiser, heiliger Mann — war Tatanga Mani (oder Walking Buffalo) aus dem kanadischen Volk der Stoney. Er wurde 1871 geboren und Häuptling seines Stammes, und noch mit 87 Jahren (er starb 1967, 94 Jahre alt) sagte er auf einer Welttournee in London:

Hügel sind immer schöner als Häuser aus Stein. In einer großen Stadt wird das Leben zu einem künstlichen Dasein. Viele Menschen spüren kaum noch richtige Erde unter den Füßen, sie sehen kaum noch Pflanzen wachsen, außer in Blumentöpfen, und lassen nur selen die Lichter der Straßen hinter sich, um den Zauber eines sternenübersäten Nachthimmels auf sich wirken zu lassen. Wenn Menschen so weit weg von all dem leben, was der Große Geist geschaffen hat, dann vergessen sie leicht seine Gesetze.

Ein Medizinmann der Dakota-Sioux war Lame Deer (1900-1974). Ihm gelang es besonders gut, die Lebensart der Weißen zu geißeln.

Alles, was ihr esst, wird in eine Plastikhülle gepackt, ist sauber zerteilt und vorbereitet für die Pfanne, hat keinerlei Geschmack und erweckt in euch keine Schuldgefühle. … Wenn wir einen Büffel töteten, dann wussten wir, was wir taten. Wir baten seinen Geist um Vergebung und sagten ihm, warum wir es tun mussten. Wir ehrten mit einem Gebet die Gebeine derer, die uns ihr Fleisch als Nahrung gaben, wir beteten, dass sie wiederkommen sollten, wir beteten für das Leben unserer Brüder, des Büffelvolkes, genausow wie für unser eigenes Volk. Für uns ist alles Leben heilig. (…)

Für den Weißen ist jeder Grashalm und jede Wasserquelle mit einem Preisschild versehen. Damit fängt es an. Und sieh nur, wie es weitergeht! Luchs und Kojote, die sich bisher von Präriehunden ernährten, müssen jetzt ein Lamm, das sich verlaufen hat oder ein krankes Kälbchen schlagen. Der Farmer ruft daher einen Mann von der Schädlingsbekämpfung und gibt ihm den Auftrag, diese Tiere zu töten. … So wird die Prärie zu einem toten Land, in dem es kein Leben mehr gibt — keine Präriehunde, keine Dachse, keine Füchse, keine Kojoten. Auch die großen Raubvögel ernährten sich von Präriehunden; heute kannst du kaum noch einen Adler sehen. Der weißköpfige Seeadler ist das Wappentier der Vereinigten Staaten. Sein Bild schmückt euer Geld, aber eure Geldgier rottet ihn aus. Wenn einVolk beginnt, seine eigenen Symbole zu vernichten, dann ist es schlecht um dieses Volk bestellt. 

… Wir müssen wieder lernen, wir selber zu sein und die Vielfalt in uns zu fühlen und zu entdecken. Wakan Tanka, das Große Geheimnis, lehrt Tiere und Pflanzen, was sie tun sollen. In der Natur gleicht nichts dem anderen. (…) Wenn nun Wakan Tanka will, dass Pflanzen, Tiere, sogar die kleinen Mäuse und Käfer, auf diese Weise leben — um wieviel mehr werden ihm Menschen, die alle dasselbe tun, ein Greuel sein: Menschen, die zur selben Zeit aufstehen, die gleichen im Kaufhaus erstandenen Kleider anziehen und dieselbe U-Bahn benutzen, die im selben Büro sitzen, die gleiche Arbeit verrichten, auf ein und dieselbe Uhr starren und — was am schlimmsten ist — deren Gedanken einander zum Verwechseln ähnlich sind.

Alle Geschöpfe leben auf ein Ziel hin. … Nur die Menschen sind soweit gekommen, dass sie nicht mehr wissen, warum sie leben. Sie benützen ihrenVerstand nicht mehr, und sie haben längst vergessen, welche geheime Botschaft ihr Körper hat, was ihnen ihre Sinne und ihre Träume sagen. Sie gebrauchen das Wissen nicht, das der Große Geist jedem von uns geschenkt hat, sie sind sich dessen nicht einmal mehr bewusst, und so stolpern sie blindlings auf der Straße dahin, die nach Nirgendwo führt — auf einer gut gepflasterten Autobahn, die sie selber ausbauen, schnurgerade und eben, damit sie umso schneller zu dem großen leeren Loch kommen, das sie am Ende erwartet, um sie zu verschlingen. 

 

Die Weißen wollten nicht nur die Präriehunde als Schädlinge töten. Nach einer Schießerei in Colorado, die auch ein paar Soldaten das Leben kostete, übergab der Gouverneur des Staates, Pilkin, Zeitungsreportern eine Erklärung, in der es hieß: »Von nun an wird es für Indianer und Weiße unmöglich sein, in Frieden zusammenzuleben. Zu diesem Angriff gab es keinen Anlass, und die Weißen wissen jetzt, dass sie in jedem Teil des Staates, in dem es eine größere Zahl von Indianern gibt, damit rechnen müssen, angegriffen zu werden. Meiner Ansicht nach müssen sie, falls die Regierung sie nicht umsiedelt, ausgerottet werden.« (Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses, Dee Brown, o. J., S. 376)

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.