Spielende Kinder

Italienische Freunde amüsierten sich über mich, weil ich ein Buch von der Montessori gelesen hatte. So wie sie gern kochen und essen, so lese ich eben gern. Maria Montessori (1870-1952) kommt sogar aus ihrer Gegend, wurde in Chiaravalle bei Ancona geboren. Sie war eine bedeutende Pädagogin und setzte sich für freies und unangestrengtes Lernen ein. In Deutschland gibt es heute 400 Montessori-Schulen. In ihrem Buch Kinder  sind anders fiel mir eine Passage über das Spielzeug und das Spielen auf.

Mein Buch erschien auf Deutsch 1997, doch die Erstausgabe geht auf 1938 zurückj und heißt I segreti dell’infanzia (Die Geheimnisse der Kindheit). Darin schreibt sie:

mikaelaObwohl in unserer Schule den Kindern wahrhaftig prächtige Spielsachen zur Verfügung standen, kümmerte sich keines der Kinder darum. Das überraschte mich dermaßen, dass ich selber eingriff, die Spielsachen mit den Kindern benützte, ihnen zeigte, wie mit dem kleinen Küchengeschirr umzugehen sei, wie der Herd in der Puppenküche anzuzünden sei. die Kinder interessierten sich einen Augenblick lang, entfernten sich dann und wählten diese Dinge niemals spontan als Spielzeug.

Vor 100 Jahren war das, und 1924 wurde Montessoris freiheitliche Methode sogar in ganz Italien eingeführt. Der Oberfaschist Mussolini unterstützte das, und wer weiß, was er sich davon versprach. Als er dann die Kinder zum Uniformtragen verpflichten wollte, erkannte die Montessori auch, dass die beiden nicht zusammenpassten, denn sie wollte ja keinen Druck ausüben. Interessant ist ihre Folgerung zu der Sache mit den Spielsachen:

friends1Das brachte mich auf den Gedanken, im Leben des Kindes sei Spielen vielleicht etwas Untergeordnetes, zu dem es nur dann seine Zuflucht nimmt, wenn ihm nichts Besseres, von ihm höher Bewertetes zur Verfügung steht. … und das Kind hat immer hohe und wichtige Aufgaben vor sich. Denn jede Minute, die verstreicht, ist kostbar für das Kind, indem sie den Übergang von einer niedrrigen zu einer höheren Stufe darstellt. Das Kind ist in unausgesetztem Wachstum begriffen, und alles, was sich auf die Mittel seiner Entwicklung bezieht, fasziniert es und macht es unempfindlich für jede müßige Tändelei.     

Die Erwachsenen begreifen das nicht. Sie meinen, Kinder wollten bloß immer spielen. Und was gibt es heute für prächtige Spielsachen! Kinder sind anders, und vor allem sind sie anders als das, wofür wir sie halten. Kinder sind ernsthaft. Wie wir Erwachsenen, denen das Spiel immer zu Ernst gerinnt und die Fußball, einst die schönste Nebensache der Welt, zu einem globalen Spektakel mit Milliardenumsätzen aufgeblasen haben! Aus seinem Hobby einen Beruf machen, erscheint vielen als höchst erstrebenswert — doch man verkauft sich, und das Spiel ist nicht mehr zweckfrei, sondern wird zum Joch. Der ganze Leistungssport ist ein aus dem Ruder gelaufenes Spiel, und Spiele (Computerspiele) dominieren heute viele Menschen, die sich sonst langweilen würden und die statt depressiv zu werden nun eben spielesüchtig sind.

Zur Philosophie des Spiels ein paar schöne Gedanken von Michael Roes, die er in seinem Roman Leeres Viertel (Eichborn, Frankfurt, 1996) untergebracht hat, der in der arabischen Welt spielt. Er schreibt alles klein, und ß ist bei ihm sz. Wundert euch darum nicht.

Spielen bedeutet nicht nur, dasz ein spieler (mit) etwas spielt, sondern auch, dasz etwas mit dem spieler spielt.
Das spiel hängt mit dem leben selbst unmittelbar zusammen: Wir können mit allem spielen, mit dingen, menschen, situationen, rollen, mit gedanken, gefühlen, worten, mit dem leben selbst.
Und das leben kann mit uns sein spiel treiben. (…)
Hängt das spiel mit dem leben selbst zusammen, so auch mit seiner äuszersten grenze, dem tod.
In fast allen spielen ist der tod gegenwärtig. Doch genügt uns dieser spielerische tod nicht. Mit dem leben zu spielen bedeutet immer auch: mit dem tod zu spielen, in mutproben, wettkämpfen, duellen, aber auch, wie erzähler in allen kulturen zu berichten wissen, mit dem tod persönlich. Wir wollen einen schritt hinaus wagen, einen blick von auszen auf das leben werfen, auf uns selbst, doch noch einmal davonkommen, den tod überlisten. Denn die einzige schwäche des Todes, so sagen uns die alten, die es wissen müssen, ist seine lust am spiel.  

 

 

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