Ein junges Mädchen von 90 Jahren

Ein faszinierender und dennoch realistischer Film über das Leben im Altenheim ist Une jeune fille de 90 ans von Valeria Bruni Tedeschi und Yann Coridian, der 2016 entstanden ist. Wir erleben mit, wie die 92-jährige zierliche und niedliche Blanche, die an Alzheimer erkrankt ist, sich in ihren Animateur verliebt und was in deren Umkreis sonst noch passiert. Auf youtube gibt’s den Film leider nur auf Französisch in voller Länge, doch gesprochen wird wenig. Wenigstens den Anfang sollte man sich anschauen, vor allem weil Thierry Thieū Nang so wunderbar auftritt.

Auf Deutsch heißt der Film 90 Jahre sind kein Alter. Die Aufnahmen entstanden in einem Altenpflegeheim in der Nähe von Paris, und der Mann, der den Trübsinn dort etwas vertreiben helfen will, ist der Tänzer und Choreograph Thierry Thieū Nang, 1962 in Colmar geboren. Er hat viele Produktionen realisiert, hat schon mit alten Menschen getanzt und mit Behinderten. Der Film der Italienerin Bruni Tedeschi ist eine Dokumentation, zeigt uns also ziemlich ungeschönt den Alltag im Heim. Die Pflege steht im Vordergrund, aber Entertainer und Animateure (die sogenannten Alltagsbegleiter) sollen für Abwechslung sorgen.

Blanche schwärmt ihren Tänzer an und lässt sich von ihm in den siebenten Himmel entführen, sie erlebt Höhepunkte und tiefe Gefühle. Es gibt auch Wutausbrüche und Eifersuchtsszenen, Trauer und Apathie. Es passiert nicht viel, aber man geht mit und hegt Sympathien für die Bewohnerinnen und Pflegerinnen. Atenheime liegen meist am Rand der Ansiedlungen, niemand geht da gern hin. Manchmal taucht die Lokalpresse auf, bringt ein paar alte Leute in Positur und lässt einen von ihnen sagen, wie wunderbar das Konzert soeben war. Das Foto, pflichtgemäß. Als Persönlichkeiten werden alte Menschen nicht wahrgenommen. Zu einem 90. oder 100. Geburtstag wird eine Biografie geliefert, wieder in der Presse, doch mehr gibt’s nicht.

 

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