Die ehrbare Hure

Das kleine Theaterstück von Jean-Paul Sartre (1905-1980), 1946 erschienen, hieß auf Deutsch Die ehrbare Dirne. Im Original: La putain respectueuse. Das französische putain ist vulgär und bedeutet Hure oder Nutte, aber das meinte man damals deutschen Leserinnen und Lesern nicht zumuten zu können. Meine französische Ausgabe von 1947 (Gallimard) hat La P… respectueuse auf dem Titel. Putain war damals so unaussprechlich wie für Frauen 100 Jahre zuvor die Hose, siehe den Beitrag über das Saiten-Heft mit dem Velo.

In einer Neuübersetzung hieß es 1987 plötzlich Die respektvolle Dirne. Was soll das sein, respektvoll? Vom Text wird das kaum gedeckt, auch wenn Lizzie, die Hure, durchaus Respekt vor dem Senator hat, wie wir gleich erfahren werden. Doch im Titel verbirgt sich eine weitere Mine. Ich lese in meinem dicken Wörterbuch: une respectueuse: e-e Dirne. Wie kommt das? La respectueuse ist auch eine Beschönigung und Umschreibung wie Liebesdienerin oder Freudenmädchen im Deutschen. La putain respectueuse ist also eine Art Tautologie, eine Verdoppelung, die man kaum übersetzen kann; respect ist Ehrerbietung; die Hure hält sich zurück, lässt sich gegen Geld vornehm zurückhaltend (oder nicht) benutzen, die ehrerbietige Hure vielleicht? Die Ehre spielt jedenfalls mit, alter Begriff und doch so wichtig. Kommen wir zur Geschichte.

barbara-laage_a124878Sartre hatte die Vereinigten Staaten besucht, und der Krieg war zu Ende gegangen, Auschwitz entdeckt worden. Lizzie ist soeben aus New York im Süden der USA angekommen, vielleicht im Zug wie ihre Kollegin in dem Gedicht Tolleranza von Cesare Pavese, in dem er schreibt »È discesa dal treno una femmina sola«, und es regnet, und rot erleuchtet sind die Fenster des Hauses, das sie betritt. Das nächste Gedicht heißt La puttana contadina, und puttana ist natürlich die italienische Entsprechung zur französischen putain. Das bringe ich einfach morgen zu Gehör. Aber zuviel Ablenkung. Konzentrier dich endlich auf die Hure Lizzie.

Sie sitzt in ihrem Zimmer, da stürzt ein Neger herein, und 1946 heißt er eben bei Sartre nègre, er hat nicht einmal einen Namen, und darum muss er hier auch mal Neger sein. Er ist auf der Flucht und beschwört Lizzie, zu sagen, dass er nichts getan hätte. Sie solle die Wahrheit sagen! Lizzie schwört es (sie schwört es!) und schickt ihn weg, denn sie hat einen Kunden, der nun aus dem Badezimmer kommt: Fred, Senatorensöhnlein und rassistischer US-Amerikaner aus dem Süden. Was übrigens ist geschehen? Warum ist der Neger auf der Flucht? Zwei Neger sind in Lizzies Eisenbahnabteil eingedrungen, ohne ihr was zu tun, doch dann kamen vier betrunkene weiße Männer herein, und einer von ihnen erschoss den einen Neger. Gerüchte besagen, er habe Lizzie Gewalt angetan.

Fred ist ein einfacher Mensch. Für ihn sind Neger Teufel, und auch sie, Lizzie, ist der Teufel. Freds Problem: Derjenige, der geschossen hat, ist sein Bruder. Lizzie soll für ihn aussagen. Er sei doch schuldig, sagt sie, er habe getötet. Fred: »Aber es war ein Neger, den er getötet hat.« Er habe nichts getan, wirft Lizzie ein. Ein Neger habe immer etwas getan, sagt Fred kalt. Er sagt später auch: »Ich, ich habe ein Recht zu leben.« (Implizit: und andere eben nicht. Natürlich ist das Stück auch ein Kommentar zum Judenhass und dem millionenfachen Mord an ihnen.) Er habe fünf schwarze Dienstboten, und wenn ein Anruf komme, desinifizierten sie erst den Hörer, bevor sie ihn ihm reichen.

Der Senator, der dann auftritt, nimmt Lizzie für sich ein. Er ist ein geschickter Heuchler und kann reden. Ach, die Mutter des armen Mörders wird zugrunde gehen! Man hasst die Neger, aber kann eine ganze Stadt sich irren? Er brauche Thomas, den Mörder, denn er sei ein Bollwerk gegen den Kommunismus, gegen die Gewerkschaften und die Juden. Was ist dagegen ein simpler Neger? Lizzie ist beeindruckt und unterschreibt, dass ihr Gewalt angetan wurde. Fred verspricht ihr bald, sie mitzunehmen in seine Villa oberhalb der Stadt. Sie werde fünf Dienstboten haben. »Gehen wir, alles ist wieder in die richtige Ordnung gekommen. (Pause.) Ich heiße Fred.« Ende des Stücks.

Lizzie, die gewöhnlich ihren Körper verkauft, hat nun auch ihre Seele verkauft. Nicht sie ist der Teufel und auch der Neger nicht, sondern Fred ist es. Ihm hat sie ihre Seele verkauft und damit ihre Ehre eingebüßt. Sie hat die Wahrheit verraten und einen Menschen geopfert, und daran wird sie bis an ihr Lebensende tragen. Nach zehn Jahren wird Fred eine Jüngere finden und sie ohne Federlesens davonjagen. Man könnte sagen: Dann wäre alles wieder in die richtige Ordnung gekommen.

 

Bild: Barbara Laage (1920-1988) spielte 1952 in einer Verfilmung die Hauptrolle, und Ivan Desby war Fred. War der Neger war, wurde natürlich nicht erwähnt.

 

 

 

 

 

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