Das Gefühl der Gegenwart

»Das Gefühl der Gegenwart« hatte ich mir aufnotiert, weil mir erzählt wurde, eine Frau habe beim Begräbnis ihres Ehemanns diesen neben sich gespürt. Für sie war es völlig klar und unbestreitbar, und ich hatte das Thema des Gefühls einer Gegenwart bei Bergsteigern untersucht und 1999 veröffentlicht; wohlgemerkt das Gefühl einer Gegenwart, nicht das einer bestimmten geliebten Person. 

Und dann, später, sammelte ich Geschichten, die Witwen und Witwer erlebten. Judy Guggenheim kam kürzlich mit einem kurzen Video bei Zammit zu Wort. Sie hat 10.000 Berichte über Kontakt mit Verstorbenen aus allen Zeitepochen gesammelt und nennt die Empfindung einer Präsenz »die häufgste Form« von After Death Communication (ADC), also nachtodlichen Kontakten. Mit ihrem früheren Ehemann Bill schrieb sie das Buch Hello From Heaven!, nach Moodys Life After Life vermutlich das meistverkaufte Buch über das Jenseitsthema.

2020-08-22-00011971 schrieb Dr. W. Dewi Rees im British Medical Journal über das Phänomen. Er hatte 293 Witwen und Witwer befragt und von knapp der Hälfte von ihnen die Antwort bekommen, sie hätten das Gefühl, nach dem Tod ihres Ehepartners kurzfristig in Kontakt mit ihm gestanden zu sein – seine Anwesenheit gespürt zu haben. 1985 hatten 60 Prozent von 46 Witwen im US-Bundesstaat North Carolina, befragt durch den Arzt Richard Olsen, ihren verstorbenen Mann in ihrer Nähe gespürt. Und bei einer schwedischen Studie erzählten 32 von 36 Witwen und 8 von 14 Witwern ein Monat nach ihrem Verlust von irgendeiner Art Kontakt mit dem Verstorbenen.

Die 68-Jährige Phyllis berichtete Louis LaGrand, sie habe in der Messe am Sonntag bei der Wandlung das unabweisbare Gefühl gehabt, sie und er seien in Christi Körper vereinigt gewesen. »Wir waren eins. Ich spürte seine Anwesenheit und erkannte, dass mir Gott ein Geschenk gemacht hatte. Ich wusste, dass mein Ehemann lebte und auf mich wartete. Das hat mir damals so sehr geholfen.«

DSCN5065Jana hatte eine Begegnung mit ihrer verstorbenen kleinen Tochter. Plötzlich habe sich am späten Abend das Licht in ihrer Küche verändert, es sei das Licht erschienen, das sie nun mit der Gegenwart ihrer Tochter identifiziere; die Kanten der Oberflächen seien ganz klar erschienen, und sie sei »erfüllt von ihrer Gegenwart« gewesen. Dann hörte sie im Geiste die Stimme ihrer verstorbenen Tochter. Viel später kleidete sie ihre beiden Kinder an und dachte an ihre Tochter, die nunmehr sechseinhalb Jahre alt gewesen wäre, als mit einem Male die Gegenstände im Raum schärfer konturiert erschienen, und Jana, die immer noch mit den Kleidern ihrer Kinder kämpfte, fühlte eine Stille, eine Gegenwart. Sie habe auf zwei Ebenen existiert, im Hier, wo sie energisch ihre Kinder anzog, und im Dort, wo schweigend ihre tote Tochter gegenwärtig war. »Dann war es weg.«

DSCN5008Wir sind mehr als unser Körper. Wir senden etwas aus, wir strahlen etwas ab. Auch wenn wir uns mit jemandem unterhalten, fließt so viel mehr hinüber zum Partner als unsere Worte. Jeder hat wohl eine unverwechselbare Aura um sich, und wer weiß, vielleicht sind darin unsere Gedanken und Gefühle. Carlos Castaneda hat einmal in einem Buch geschrieben, ein »verstohlenes Wesen« könne von allen unbemerkt in einen Raum eintreten, wenn es ihm gelänge, seine Gedanken abzuschalten. Ich denke mir, wenn man mit beklommenen Gefühlen auf die Grenze zufährt und den Zollbeamten schon sieht, sollte es einem gelingen, seine Gedanken auszublenden, leer zu sein, dann komme man ungeschoren durch. Vielleicht spüren Polizisten und Zolbeamte eher verworrene Gedanken, als dass sie von einem Gesicht Schuldbewusstsein ablesen können. Jedenfalls: Wer lange mit jemandem zusammen war, weiß instinktiv, wenn er oder sie neben ihm ist. Alle Zeugen äußerten, sie hätten keine Zweifel gehabt.

Ich erinnere mich an einen Neujahrsmorgen in St,. Gallen, es mag das Jahr 2007 gewesen sein. Ich hatte gebadet und untensiv an jemanden gedacht, die ich nur von Fotos kannte. Als ich später spazierenging, spürte ich plötzlich jemanden nah neben mir und erschrak so sehr, dass ich einen Sprung zur Seite machte.

 

 

 

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