Über den Fluß und in die Wälder
Passend zum Wetter heute noch eine traurige Winter-Geschichte, weil ich im Februar zum zweiten Mal den Roman Über den Fluß und in die Wälder von Ernest Miller Hemingway gelesen habe und wieder ergriffen war. Im nebligen, verregneten Venedig erlebt und zelebriert der todkranke Oberst Richard Cantwell seine letzte Liebe, zu der 19-jährigen adeligen Renata.
Der Roman erschien 1950 nach zehnjährigem Schweigen des amerikanischen Autors, der damals 52 Jahre alt und durch seine Vorkriegsromane (etwa Wem die Stunde schlägt) berühmt war. Die Kritik nahm das Buch nicht gut auf; Hemingway habe sich selbst parodiert, es sei ein langweiliges Werk. »Hem« war getroffen. Zwei Jahre später schrieb er in wenigen Wochen Der alte Mann und das Meer, wiederum zwei Jahre später (1954) wurde ihm der Nobelpreis für Literatur zugesprochen. Dann verunglückte Hemingway in Afrika mit dem Flugzeug, hatte eine Arbeitskrise und Depressionen, und am 2. Juli 1961 nahm er sich das Leben.
Über den Fluß und in die Wälder ist ein düsteres Buch. Seit Thomas Mann und seiner Erzählung Tod in Venedig ist die Stadt im Wasser ein Sinnbild für den Untergang. Hemingway lässt da nichts aus. Aber er ist ein Meister. Es passiert nicht viel, aber die Stimmung greift auf die Leser über. Richard Cantwell war schon einmal General, aber er machte Fehler und verlor seinen Rang; er bezichtigt sich selbst, schuld am Tod vieler Männer zu sein, freilich auf Befehl von weiter oben.
Bild von Clara Pasini, CerviaDrei Fehler hat er gemacht, und die drei Frauen, die er liebte, verlor er auch. Das alles erzählt er Renata in seinem Hotelzimmer, beim Abendessen im berühmtesten Hotel der Stadt, dem Gritti, bei Spaziergängen und in der Gondel, in der es zur Vereinigung des Paares kommt. Das ist schwer symbolisch, Liebe und Tod; als führe die Gondel schon auf dem Styx, dem Unterweltfluss der griechischen Antike.
Renata will alles wissen, und so berichtet Cantwell vom Krieg, widerstrebend und vorsichtig. Der vergangene Krieg mit den vielen Opfern und die nahe Zukunft, die die Trennung bringen wird, beherrschen die Gegenwart des Obersten und der wunderschönen Renata (Hemingway selbst hatte sich in eine junge Gräfin verliebt, und seine Frau respektierte das anscheinend).
Ich habe kein anderes Buch gelesen, in dem sich Mann und Frau so oft »Ich liebe dich« sagen oder »Liebst du mich?«, und dies alles in allen möglichen denkbaren Varianten. Das würde man Hemingway nicht unbedingt zutrauen. Allerdings ist er, wie erwähnt, ein Maestro, und die Dialoge sind trocken, kunstvoll in ihrer Einfachheit und einfach schön, so dass keine Spur Sentimentalität aufkommt. Es liest sich im Original vermutlich noch besser, nehme ich an. Solche scheinbar nichtssagende Dialoge zwischen zwei Liebenden, hinter denen sich so vieles verbirgt, kenne ich sonst nur aus der japanischen Literatur, von Kawabata natürlich.
Venedig, Lagune. Zeichnung von mir nach einer Vorlage