Patrizia Cavalli

Heute ist der Geburtstag meiner (im April 2021 verstorbenen) Mutter, und an diesem Tag vor einem Jahr schrieb Giorgio Agamben, der italienische Philosoph, einen ergreifenden Nachruf auf die Dichterin Patrizia Cavalli, und diese Formulierung von der »Unmöglichkeit zu lieben« darin hat mich nicht losgelassen … 

RpatriziaPatrizia Cavalli stammte aus Umbrien und lebte in Rom. Sie wurde 75 Jahre alt und veröffentlichte 12 Gedichtbände, deren erster hieß Meine Gedichte werden die Welt nicht verändern. Sie liebte Frauen, gab ihr Begehren als Triebfeder ihres Schreibens an und schrieb wunderbare Gedichte in flüssiger, anmutiger Sprache.

Ihre Abendessen seien legendär gewesen, erzählt Agamben und überlegte:

Gefiel ihr es wirklich, zu kochen? Aß sie wirklich gern? Die Gier, auf den ersten Blick eine ihrer dominierenden Leidenschaften, richtete sich nicht auf den Genuss, sie war eher eine halbherzige Entschädigung, eine Zeche, bezahlt für die unfehlbare Nichtbefriedigung jedes ihres Begehrens. Daher bewies Patrizia in der Küche alles Andere als die wilde Detailgenauigkeit der Köche. Ich, der ich als »Doktor der Pasta« in jenes Heiligtum eingelassen worden war, sah sie sich stets bedrückt und ungeduldig, halb eilfertig und halb zerstreut, am Herd bewegen, als würden ihr Geschirr und Kochtöpfe fehlen, als müsste sie andauernd hier eine Prise hinzufügen und dort eine wegnehmen. Um so überraschender war dann die so erlittene, außergewöhnliche Güte des Resultats, das hinterher wie zufällig erzielt schien.       

Warum kannte Patrizia die Liebe so gut? Warum ist ihre Poesie von Grund auf ein Meer der Liebe? Weil sie sich nicht liebte, weil sie wusste, dass wir wegen unserer Unmöglichkeit, lieben zu können, zur Liebe verurteilt sind. Das einzigartige Ich, wirklich das meine, von dem sie, um sich nicht damit zu verwechseln, unaufhörlich sprach, jenes Ich, »wär’s beschissen und wär’s auch ich scheiß‘ drauf«, halb grammatikalisch und halb fleischlich, trug Patrizia auf der Haut wie eine unzureichende, gierige Buße für ihre Unfähigkeit, sich zu lieben und zu lieben.  

Drei kurze Gedichte von Patrizia Cavalli, übersetzt von mir:

[Jemand hat mir gesagt]

Jemand hat mir gesagt,
dass meine Gedichte bestimmt
die Welt nicht verändern werden.

Ich antworte darauf, dass ganz bestimmt
meine Gedichte
die Welt nicht verändern werden.

[Im Schatten einer Metapher]

Im Schatten einer Metapher —
Gebt mir eine Margerite,
Damit ich sie in der Hand halten kann
Die Margerite.

[Ewigkeit und Tod bedrohen mich beide]

Ewigkeit und Tod bedrohen mich beide:
Keine der beiden kenne ich,
keine der beiden werde ich kennenlernen.

Das Letzte ist vielleicht eine Beschwörung; man könnte es aber auch so deuten: Wir werden Tod und Ewigkeit nicht so erfahren, wie es Allgemeingut ist. Der Moment des Todes ist ein kurzer »Flash«, und manche Autoren haben uns versichert: Den Tod gibt es nicht. Und die Ewigkeit ebensowenig; Swedenborg sagte, das Leben drüben sei ein sehr lang anhaltender Zustand, mit einer zeitlichen Ewigkeit habe das nichts zu tun, der Begriff müsse irritieren. — Was zunächst absurd und überheblich scheint, bekommt so eine Kontur.

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Ich hatte heute meine Gelbfieber-Impfung, die ich für meine Uganda-Reise brauchte. Erst war vage ein Termin Mitte/ Ende Septeber frei, dann … sprang jemand abm und ich konnte den freigewordenen Termin besetzen. Es hatte mir ein wenig Sorge gemacht, ob es klappen würde. Und nun habe ich das Gefühl, es sei eingegriffen worden, weil der Termin genau am Geburtstag meiner Mutter ist.  Auch am 20. Januar, dem Geburtstag meines Vaters, sind bedeutsame Dinge passiert, und ich meine, das ist kein Zufall.

 

 

 

 

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