Königin Wanda

Nach dem gestrigen Märchen gleich noch eins. Es kommt aus Polen und fasst schön ein paar Gedanken zusammen, den manipogo am Schluss von Artikeln geäußert hatte (die wichtigsten Gedanken stehen immer am Schluss …): über das Schöne und das Opfer (am Ende von Sacher-Masoch). Schließlich ist Wanda bei Sacher-Masoch die grausame Venus im Pelz, die dem jungen Severin zu schaffen macht. 

In dem Märchen Das Opfer Wanda ist die Titelheldin allerdings eine Gute: die verehrte Königin von Krakau. Wir lesen:

thwandaWie gut sie ihre Pflichten erfüllt! Sie befiehlt und berät. Sie tröstet und heilt. Das Tor des Schlosses ist niemals geschlossen, was sollte diese schöne junge Königin auch zu fürchten haben? Wer könnte je daran denken, ihr Böses zuzufügen?
Das Beispiel ihrer Güte wirkt sich im ganzen Lande aus; die Menschen werden alle besser: Streitigkeiten haben aufgehört, überall herrscht ebenso Ordnung wie Wohlhabenheit und Glück. 

Könnten wir es nicht dabei belassen? Ende des Märchens. Nein. Es ist »ein Friede wie vor dem Sturm …« Denn Männer tauchen auf.

krakow-2146765__340Aus dem mächtigen Nachbarland treffen der alte Siegfried und der junge Prinz Ritiger (vermutlich Rüdiger) ein. Der Alte bittet darum, singen zu dürfen und stimmt eine Weise an über ihre grausamen Götter, Schlachtenlärm und Tod. Alle sind entsetzt. Danach bringt er ein Liebeslied. Alle sind besänftigt. Am nächsten Tag reisen die beiden ab. Wandas Schönheit hat den Prinzen beeindruckt. Siegfried meint, dieses Land sei rasch zu besiegen. Ritiger gibt zu bedenken:

Mir liegt nichts daran, nur das Land zu haben, ich will auch ihr Herz gewinnen; ich glaube nicht, dass es sich mir öffnet, wenn ich ihr Volk vernichte.

Da denken wir an die Staufer. Romantik und Grausamkeit in einem einzigen menschlichen Herzen, und das Volk, es zählt nichts.

Nach Wochen erscheint ein bewaffneter Trupp. Prinz Ritiger schickt ihn — und eine Botschaft: Hier seien Geschenke; sie solle mit ihm über das Land herrschen (»mit ihm« … man kann sich denken, was das bedeutet). Man wolle zudem ihr Volk das Kriegshandwerk lehren. Wanda will mit allen beraten. Das Volk indessen ist dagegen, und auch der Große Priester rät ab. Also schickt die Königin von Krakau die Abordnung wieder heim.

Vier Monate später kommt die Kunde, dass Prinz Ritiger an der Spitze seines Heers das Land überfallen hat. »Er brennt nieder, was in seinem Weg steht. Er lässt Männer, Frauen und Kinder niedermetzeln. Überall herrschen Schrecken, Entsetzen.«

11914645774_db8c8c1c54_b

Die Königin ist unglücklich und gibt sich die Schuld. Immerzu sieht sie die abgeschlachteten Menschen vor sich, die Brände, das Elend. Sie flieht zum Heiligen Hain, zum Großen Priester. Er weiß eine Lösung:

Der Preis, den unsere Götter fordern, ist der eines Menschenlebens. Die Schönste und Höchste soll sterben.

Wanda hört die Stimme ihres Vaters: »Ein König gibt sein Leben für sein Volk.« Sie liebt dieses Leben, aber auch ihr Volk und ihre Pflicht. Sie wird es tun. Es ist das Fest Koupalas, des Lichtgottes. Wanda verschenkt ihre Güter, verabschiedet sich von allen und tritt an die Spitze eines Zugs, der zum Ufer der Weichsel geht. Die Königin besteigt ein geschmücktes Floß, man betet »Besiege unsere Feinde, o du Gott des Sieges«, und Wanda stürzt sich in die Fluten.

Der alte Siegfried jubelt: In zwei Tagen hätten sie das Land im Sack. Doch Prinz Ritiger ist plötzlich bekümmert und sagt:

Wir kehren um. Ich will ein Volk nicht länger angreifen, dessen Frieden durch den Tod der schönsten Königin erkauft worden ist. … Unsere Götter, und mögen sie noch so grausam sein und hart — sie sind durch dieses Opfer entwaffnet worden.

Auf einem Scheiterhaufen verbrennt man Wandas Leichnam, gemeinsam mit ihrem Schimmel. Noch heute pilgern Scharen Menschen in der Sonnwendnacht zu ihrem Grab, und alle werfen Blumenkronen und Kränze in die Wogen.

 

Abbildungen: aus Polen, zeitgenössisch und altertümlich.

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.