Sándor Márai

Der 18. März war der Tag des Sándor, also auch Namenstag des ungarischen Autors Sándor Márai, der deshalb Freunde zu einem bescheidenen Mahl in sein Haus nach Buda einlud, dem Stadtteil, der mit Pest Budapest ausmacht. Das Jahr war 1944. Als er seine Gäste hinausbegleitete, kam ein Anruf, und Márai hörte: »Heute Nacht haben die Deutschen Ungarn besetzt.«

So beginnt Sándor Márai seine Erinnerungen, die unter dem Titel Föld, Föld! Auf Ungarisch erstmals 1972 in einem Verlag in Toronto erschienen. Meine Taschenbuchausgabe kam im August 2001 beim Piper-Verlag in München heraus. Kritik: Nicht genug, dass man ganz klein lesen muss, das Buch sei für die Ausgabe »leicht gekürzt« worden; der Titel heißt lapidar Land, Land. Ja, einfach so.  

Ganz am Ende, als der Autor (1948) beschließt, Ungarn zu verlassen, weil man von den Machthabern bedrängt wurde und nicht einmal anständig schweigen durfte, spricht er vom ungekehrten Heimweh: vom Fernweh. Die schöne Erde sehen! Später habe er nie Heimweh gehabt. Und Márai erwähnt den kleinen Matrosen, der auf Kolumbus’ Schiff »gegen Morgen aufgeregt und heiser schrie: ›Land, Land! …« Das kleine Ausrufezeichen ist so wichtig, mit ihm erst bekäme der Titel Sinn … aber so heißt es matt Land, Land. Piper wird sich was dabei gedacht haben. Nur was? 

Doch das schmälert den Eindruck nicht. Márai ist ein Autor, den man immer mit Gewinn liest, und man liest und will nicht aufhören. Seine Tagebücher und Erinnerungen schenken einem viel Erkenntnis. Er schreibt knapp und bündig. Er bemerkt viel, etwa die Lebensart des östlichen (russischen) Menschen, der irgendwie Luft um sich hat, weniger zentriert ist als der westliche. Dass die Buchproduktion so immens geworden ist (1972) und immer mehr Leser Unterhaltung wollen, aber nicht mehr nach Antworten suchen, die aus einem Buch kommen. Dass man eigentlich nicht weiß, warum man schreibt, aber einen Leser so vage im Kopf hat. »Der Leser ist der Partner, wie in der Liebe die Frau. Doch wo ist der Verleger abgeblieben, dieser Geburtshelfer und Kuppler?« 

Dass Menschen hassen können und oft opportunistisch sind und wie grotesk sie dabei wirken, erwähnt er, und er schildert die armen Literaten in den Kaffeehäusern in Budapest, die mit Zeitungsartikeln ihr Leben fristen, und er schildert auch, wie angenehm großbürgerlich sein Leben vor dem Krieg war, als er Tennisspielen ging und hinterher sich, frisch geduscht, an die Schreibmaschine setzte. (So lebe ich ja auch. Ein Glück!)  

Als er das erste Mal Ungarn verließ (1945), merkte er in Paris, dass ihm seine Sprache fehlte und er zurückkehren müsse. Ein paar Jahre später, nachdem die Russen die Wirtschaft kollektiviert hatten und Druck machten, hielt er es nicht mehr aus und folgte einer Einladung in die Schweiz, die aber zu teuer war. Und so lebten Lola und Sándor Márai von 1949 bis 1957 in Posillipo bei Neapel, danach zehn Jahre in New York, von 1967 bis 1980 in Sorrent und dann wieder in den USA (San Diego). 

Seine Frau Lola starb 1985, er nahm sich im Februar 1989 das Leben. Schade, hätte er noch abwarten können, dann hätte er 45 Jahre nach der Befreiung von den Deutschen eine weitere erlebt: die von den Russen. Er wurde posthum rehabilitiert und erhielt den größten Orden. Sándor Màrai, bekannt geworden vor allem durch den Roman Glut, ist ein vorzüglicher Schriftsteller. Bei ihm bekommt man Antworten, auch wenn man sie gar nicht gesucht haben sollte.

 

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