Schönheit und Trauer

Tina Stadlmayer hat in den 1990-er Jahren in Tokio als Korrespondentin für deutsche Tageszeitungen gearbeitet. Sie lebt in Hamburg. In ihrem Bücherregal stehen viele Werke japanischer Autoren; ich griff mir Schönheit und Trauer heraus, das letzte Buch des ersten Literatur-Nobelpreisträgers (1968) seines Landes: Yasunari Kawabata (Japaner nennen ihn mit dem Nachnamen zuerst: Kawabata Yasunari).

Das erste Buch des 1899 in Osaka geborenen Autors war Die Tänzerin von Izu. Der Roman Schneeland machte ihn 1937 dann berühmt. Es folgten Tausend Kraniche (1951), Ein Kirschbaum im Winter, Kyoto oder die jungen Liebenden in der alten Kaiserstadt sowie Schönheit und Trauer (1962). Dann schrieb er anscheinend nichts mehr bis zu seinem Tod 1972.  

Seine Romane sind nicht sehr umfangreich, aber streng durchkomponiert. Während ich Schönheit und Trauer las, dachte ich an ein anderes Buch aus Japan, in dem ein junger Mann eine Teelehrerin aufsucht, die die Geliebte seines Vaters war … Es war, wie sich zeigte, exakt Tausend Kraniche. In beiden Büchern meint man, die Beziehung der Figuren zueinander als Diagramm aufzeichnen zu können. 

Illustration: Rolf Hannes

Die Teelehrerin stellt dem jungen Mann ein Mädchen vor und hofft, die beiden zusammenzubringen. Das Mädchen, Yukiko, trägt einen Kimono mit den Kranichen, in Japan ein Symbol für den Wegflug, also den Tod. Doch da gibt es noch Frau Oota, eine weitere frühere Geliebte des Vaters, von diesem mehr geliebt. Sie geht mit dem Sohn (in Erinnerung an früher) eine Affäre ein, nimmt sich danach das Leben, und der Sohn neigt sich ihrer Tochter Fusako zu, weil sie ihn an Frau Oota erinnert …  

In Schönheit und Trauer dagegen erinnert sich ein Schriftsteller an seine Liebe zu einem jungen Mädchen. Das liegt ein Vierteljahrhundert zurück, und er war 30 Jahre alt. Das Mädchen ist zu einer Künstlerin geworden und mag ihn noch, obwohl er sie verlassen hatte und ihr gemeinsames Kind starb. Keiko, die junge impulsive Freundin der Künstlerin, ist eifersüchtig und will diese »rächen«. Sie kokettiert mit Vater und Sohn. Das Ende ist natürlich tragisch.

Vater und Mutter haben sich »reproduziert«, sagt man. Strukturen bleiben erhalten, innerhalb derer neue Figuren auf alte Art wirken, und bei Kawabata fühlt man sich wie in der Teezeremonie oder beim Blumenstecken; es wird eine Geschichte ausgespielt, die bereits in Umrissen dasteht, — jeder Schritt ist logisch, es gibt es kein Entrinnen. Personen wiederholen frühere Muster, und stets gibt es ein »böses« Element, das besitzen und zerstören will. 

Die Literatur des Japans im vergangenen Jahrhundert bezog sich noch stark auf die Tradition, und das trifft auch noch auf den Literatur-Nobelpreisträger von 1994 zu, Kenzaburo Oe (geboren 1935). Banana Yoshimoto (geboren 1964) und Haruki Murakami (1949), der lange in den USA lebte, schrieben »westlichere« Bücher und hatten damit weltweit Erfolg.        

Yasunari Kawabata nahm sich im April 1972 das Leben. Im Klappentext eines Buches heißt es, die Tat bleibe rätselhaft; woanders steht, auf dem Tisch habe ein Gedicht gelegen, das das Leben pries. Aber das ist unwichtig; wenn man Kawabatas Bücher liest, weiß man, wie sehr er das Leben liebte. 

Ein Kommentar zu “Schönheit und Trauer”

  1. Regina

    Lieber Manfred,

    Muster überall.Hundertmal muss man neu beginnen, bis man lernt, zuzugreifen. ciao, Regina

    (aus Mörderisches Rom M. Poser)