Gegenseitige Hilfe

Manchmal drängt sich ein Thema von selbst in den Vordergrund. Jemand spricht etwas aus, das schlummernd unter der Oberfläche gewartet hat. »Man ist sich nirgends mehr sicher«, sagt meine alte Mutter. »Schlag die Zeitung auf: Verbrechen, wohin du schaust.« Stimmt. Das fällt auf.

Aber es ist nicht unsere Realität in Mitteleuropa. Die Menschen sind freundlich, leiden keine Not und helfen einander. Diese lächerliche Krimi-Epidemie (in ganz Europa übrigens) zeigt nur die Langeweile dieser freundlichen Leute und ihre geistige Armut. Andere versuchen, sie möglichst fesselnd zu unterhalten und schreiben Krimis und verfilmen sie.

Diese Medienwelt steckt voller Verbrechen, Krieg und Konkurrenz. Auch die Nachrichten. Es gibt freilich Kriege und Überfälle und Unglücke, aber zufällige Häufungen verunsichern Menschen. Brauchen wir diese Nachrichten? Was sagen sie uns?

Das ist eine gewaltige Verzerrung, gegen die man sich zur Wehr setzen müsste. Journalisten und Fernsehunterhalter manipulieren aus Zynismus heraus und weil es Geschäftsinteressen gibt, denen sie dienstbar sind. Würden sie eine andere Welt abbilden, würde die Welt auch besser werden. Eigentlich hätten sie die Pflicht, eine bessere Welt abzubilden. Die aggressive Welt gebärdet sich nämlich auch aggressiv, weil es auch genug Halbirre gibt, die zuschlagen, um ein Problem zu lösen, wozu ihnen das Fernsehen (und Youtube) Material liefern.

Wie ist der Mensch? Anscheinend ist er ein Augentier, ein Voyeur. Er schaut gern den anderen ins Schlafzimmer. Aggressiv ist er auch, aber er kann sich kontrollieren. Nur Hollywood meint, jeder Film müsse in einer Konfrontation oder einem Krieg enden. Es ist so dumm. Auch die Evolution sagt nicht nur, dass es um Fressen und Gefressenwerden geht; darum ein paar Zitate aus dem Buch von Die Entdeckung des Chaos von John Briggs und David Peat (1992):

»Das Konkurrenzmodell der Natur sagt vorher, das zwei Arten ähnlicher Tiere um Nahrung und das Terirtorium kämpfen müssen. Die Beobachtungen legen aber nahe, dass solche Kämpfe in Wirklichkeit äußerst selten sind. (…) Wölfe, Stiere, Vögel – sie alle haben bekanntlich Dominanzhierarchien oder Hackordnungen. Man kann aber solche Strukturen auch anders ansehen, nämlich als ein geniales Mittel, um schmerzhafte Konkurrenz und schädliche Konflikte zu vermeiden. (….)

Ein drittes Beispiel: Die Theorie des Darwinschen Konkurrenzkampfs zwischen den Arten beruht auf der Annahme, dasss die Population einer Art grenzenlos weiterwächst, wenn sie nicht durch Gefressenwerden und durchs Verhungern von der Natur in Schach gehalten wird. …. Wo aber Arten natürlich vorkommen, da scheinen sie in ihre Umgebung derart verflochten zu sein, dass sieselbst ihre Bevölkerungszahl regeln.« (266/267)

Der Russe Pjotr Kropotkin fand bei Darwin vor allem Hinweise auf die Zusammenarbeit in der Natur und nicht so sehr auf die Konkurrenz – und darüber schrieb er sein Buch Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt. Im Original heißt es Mutual Aid: A Factor of Evolution, und erschienen ist es schon 1902.

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