Karl Valentin im Jenseits
Der Münchner Erzkomödiant und Worteverdreher Karl Valentin (1882-1948) hat sich kurz vor Kriegsende mit dem Jenseits beschäftigt und schrieb einen Text, der 1947, im Jahr vor seinem Tod, im Münchener Magazin erschien. Er heißt Im Jenseits, wie sonst. Auszüge mit Kommentar.
»Ein Problem, das mich sehr interessiert, ist das Jenseits oder besser gesagt, ein Weiterleben nach dem Tode. Gedanken über das Jenseits kann man natürlich nur im Diesseits haben. Im Jenseits über das Diesseits nachzudenken ist schon zweifelhaft ― vielleicht ausgeschlossen.« (…) »Ist ein Mensch wirklich tot, so ist natürlich nur der Körper gemeint, denn die Seele lebt weiter, ― aber diese ist unsichtbar, das ist wissenschaftlich einwandfrei bewiesen, da bei Röntgenaufnahmen (…) noch nie die Seele sichtbar gewesen ist. Die Seele flieht also unsichtbar aus dem menschlichen Körper. Aber wohin? Das wird die Seele schon selber wissen. Ins Jenseits ― und da entweder in den Himmel oder in die Hölle. Die Seele muss also allein wissen, wo sie hinflieht.«
Der Hinübergang. Szene aus dem Film „Fearless“ von Peter WeirValentin fragt sich nun, wie der verstorbene Bäckermeister Meier seine geliebte Frau im Jenseits wiedertreffen kann. Und wie ist es umgekehrt: Wenn man jemanden nicht wiedertreffen will? »Hat einer eine böse Schwiegermutter, so ein Ehemann getraut sich ja gar nicht zu sterben, aus Angst vor einem Wiedersehen im Jenseits. Sein einziger Trost ist vielleicht der, dass die Schwiegermutter nicht in den Himmel kommt, sondern in die Hölle. Überhaupt, wenn man mit all denen, die man im Diesseits schon nicht riechen kann, im Jenseits wieder zusammenkommen sollte, ist das allein schon ein schrecklicher Gedanke.«
Da kann man den Valentin beruhigen: Menschen, die sich nicht leiden können, werden nicht zusammenkommen. Das ist eine geistige Welt; die sind zusammen, die sich nahe im Geist sind. Hier, in unseer Welt, sind oft Leute körperlich nahe beieinander, die sich geistig fremd sind. Drüben ist das anders. Böse kommen gar nicht in unsere Nähe; unsere Aura (wenn wir zu den Guten gehören) stößt sie ab. Das Problem, den geliebten Partner wiederzufinden, ist tatsächlich eins. Man sucht manchmal in falschen Zeitregionen herum, sucht Jahrzehnte (aber dort spielt Zeit keine Rolle). Am besten betet man oder bittet um Hilfe. Und im Jenseits übers Diesseits nachzudenken kommt vor. Manche Menschen können sich nicht von ihrer früheren Existenz lesen und quälen sich. Andere lösen sich rasch, denen kommt die irdische Existenz schon bald wie ein blasser Traum vor. Dann: das Problem des Frohlockens.
»Wie ist das nun im Jenseits? Hier besteht keine Altersgrenze, sondern Ewigkeit. Also in Ewigkeit nur im Jenseits umherfliegen und als einzige Beschäftigung, wie uns aus der Bibel bekannt, nur Hosianna singen, das kann die ersten acht Tage ganz unterhaltlich sein, aber, man denke sich das ewig ― das muss unbedingt langweilig werden.« Die schlechte Nachricht: Auch im Jenseits wird gearbeitet, schöpferisch und konkret. Man will anderen helfen (solchen, die etwa plötzlich gestorben sind), hält Vorträge oder steigt in dunkle Regionen hinab, um den Hoffnungslosen etwas Hoffnung zu geben. Man kann sich auch zurückziehen und forschen, malen, dichten und komponieren, ganz wie hier im Leben. (Das sind nur Schlaglichter aus Büchern aus dem Jenseits.)
»Nun steht wieder eine Frage offen: Werden die Seelen oder die Engel im Jenseits auch älter, so wie dies im Diesseits der Fall ist? (…) Wenn Wissenschaftler befragt werden um obige Angelegenheiten des Weiterlebens, so ändert sich die Sache wiederum. Diese behaupten nämlich, dass es schon seit vielen Millionen von Jahren Menschen gibt, die inzwischen längst gestorben sind und jetzt das Jenseits bevölkern. Wieviele unzählige Trillionen Seelen im Jenseits schon weiterleben, ist niemals zu bemessen. Dabei geht das immer so weiter in aller Ewigkeit oder wenigstens so lange, als die Welt besteht. Es ist ein ewiges Kommen und Gehen und Seligwerden ― also ein Fortleben nach dem Tode. Aber warum sollen wir Menschen uns darüber den Kopf zerbrechen. Wir weden es niemals ergründen.«
Die Seelen im Jenseits werden nicht älter. Nur Kinder, die hinüberkommen, reifen (unter Aufsicht von Mentoren) heran. Jeder hat das Alter, das er haben möchte, es geht ja um den Zustand der Seele, die aus unserem Vorleben und unserem Bewusstsein resultiert. Die Menge der Wesen wird kein Problem sein. Doch viele (die nicht daran glauben) werden vielleicht in einem tiefen Schlaf liegen und nicht weiterleben, andere sich in fernere Regionen weiterentwickeln und vergeistigen, und letztlich geht es ums Einswerden mit dem Großen Geist, das Eingehen in die Große Substanz, und irgendwann will man vielleicht nicht mehr als »man selbst« existieren, sondern Teil des All(e)s sein, Teil Gottes. Die großen Menschen hier sind das Vorbild: Sie haben jeden Egoismus abgeworfen und sind völlig unpersönlich geworden, widmen sich dem anderen oder einem hohen Ziel.