Die Kinder von Lahore
Sonntag war gestern. Tatort-Tag. Davor gab es in der Tagesschau die Bilder aus Lahore und den Blick in die Schule, deren Leiter die Kinder mit Überwachungskameras und einer lächerlichen Pistole gegen die Taliban verteidigen will. Dann: ein Tatort aus Freiburg.
Das schaut man an. Ich wohne ja in der Nähe, komme einmal in der Woche nach Freiburg, ein bißchen möchte man ja wissen, wie diese Gegend fernsehmäßig abgehandelt wird, aber eigentlich … sollten wir mit den Opfern von Brüssel und Lahore leiden, sollten Weltbürger sein, statt sich eineinhalb Stunden mit einem Krimi aus der heimischen Gegend langweilen zu lassen.
Heike Makatsch ist anziehend und hat diese wunderschönen blauen Augen. Kommt mit dem Exoten-Bonus aus London (ausländisches Autokennzeichen, geil!) in die badische Metropole und lernt dann auch, überzeugend »Kripo Freiburg« zu sagen, ohne dabei zu grinsen — und ihren Ausweis hinzuhalten. Gefilmt war alles in grauen, weißen und blauen Farben, die eher nach Ludwigshafen gepasst hätten.
Die Geschichte war sterbenslangweilig. Keine Sekunde interessierte einen das Opfer. Heike hatte nur Pappkameraden um sich; da war keine einzige lebende Gestalt, man sah nur Mumien, die sich obendrein noch in einem jämmerlichen hilfsbadischen Akzent artikulierten, bei dem es einem den Magen umdrehte. Es kam einem alles irgendwie unbeteiligt und lustlos vor.
Drei Tage vorher, Donnerstag, wurde ich zufällig zu einer Episode der Serie Der Alte aus München gebeten. Auch hier eineinhalb Stunden Langeweile (ich empfahl mich jeweils nach einer Stunde) in hocheleganten Villen, Nachtklubs, unter Künstlern, reichen PR-Fritzen, Managerinnen. Das war die bereits degenerierte Derrick-Schule: das Elend der Schickeria. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen produziert mit viel Geld diese hilflosen Filme und zeigt sie zur besten Sendezeit, konfrontiert uns mit individuellen Kümmernissen und der Ödnis der verwalteten Welt.
Aber ein aktueller Bezug, ein Kämpfer, der ein Attentat plant, das dann im Fernsehen vom Kommissar verhindert wird (wie vermutlich zuletzt im Hannover-Krimi) … was bringt uns das? Was soll uns das? Es ist ja doch nur Lüge, denn Attentate »gelingen« und werden bejubelt, und der/die Täter von Lahore wählten anscheinend eine besonders große Bombe, um möglichst viele unschuldige Menschen (Frauen und Kinder) zu töten. Für welchen sadistischen Gott tun sie das? Aus welcher Hölle sind sie emporgestiegen?
Im Krimi deutscher Provenienz ist der Tod ein begründeter, oft ist er sogar ein verdienter, und das christliche Motiv der Schuld ist stets in der Geschichte verpackt; das Opfer hat Mitschuld; Geldgier, Eifersucht und Leidenschaft sind Erklärungen, die dem Sinnlosen Sinn geben.
Der IS-Schlächter bestimmt, dass seine Opfer den Tod verdient hätten, wie der SS-Mann verfügte, dass Juden zu sterben hätten. Die Opfer haben keine Chance, Schuld auf sich zu laden, sie sind lediglich Mittel zum Zweck, Fußabtreter auf dem Weg zu einem vagen »Endsieg«. Man möchte mit Brecht schließen: »Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ei Verbrechen ist /Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!«