Flugverkehr (55): Singvögel
Man spürte den Frühling dieses Jahr schon früh. Die Vögel sangen. Zwei zauberhafte Geschichten über singende Vögel erzählt (wieder einmal) Laurens van der Post, diesmal in seinem Buch The Voice of the Thunder von 1993. Die Macht und die Schönheit des Gesangs unserer Freunde!
Van der Post befand sich im Frühsommer auf einer Reise durchs nördliche Zululand, und sie rasteten unter einem Sycamore-Feigenbaum. Da tauchte ein kleiner Vogel auf, ein Honiganzeiger (englisch: honey-guide) und begann einen betörenden Gesang. Diese Vögel ernähren sich von Bienenwachs und führen Menschen oft zu Bienenkolonien. Man wisse, schreibt der Autor, wie lang es dauern könnte, einem solchen Vogel zu folgen. Sie waren müde und blieben liegen.
Doch ein alter Zuluführer beschämte alle Jüngeren und folgte dem Honiganzeiger. Ein weiterer Mann und Laurens van der Post gingen mit, und der alte Mann begann auf Zulu selber einen Gesang, der die Namen des Vogels preist und seine Leistungen, da er dem Menschen jede Bitterkeit nimmt und ihm Süße verleiht. Der Honiganzeiger flog voran, von Busch zu Busch, und vergewisserte sich auch, dass die drei Männer folgten. Die Exkursion erstreckte sich bis in den Abend hinein, und dann war das Nest, das der Honiganzeiger angepeilt hatte, leer. Enttäuschung. Der Vogel ließ einen gurgelnden Laut hören, verstummte dann und verschwand.
Doch der alte Zuluführer sang im sinkenden Abendlicht mit seinen langen Schatten weiter und hörte nicht auf, den Vogel zu preisen, der als Bote auf den Geist des Eros hinweist, verkörpert durch die Bienen, die in einer Art Liebesakt die Blumen befruchten. So triumphierte er über den Fehlschlag. Als sie zurückgekommen waren, sagte ein Mann, in dieser Zeit könne man keinen Honig finden, darum sei er nicht mitgekommen. Der Zuluführer wies ihn zurecht: »Es ist wichtiger, mit dem Honiganzeiger zu sein, wenn er keinen Honig findet ― denn so sieht er, dass er wirklich einen Freund hat ―, als mit ihm nur zu gehen, wenn er eine Menge Honig findet, denn wenn wir dann mit ihm gehen, wird er denken, dass wir es nur tun mit Gier im Herzen und nicht, weil wir ihn als ein Freund begleiten.“
Jahre später verließen Laurens van der Post und ein japanischer Freund einen Hafen auf Hokkaido im nördlichen Japan und fuhren weiter nach Sapporo, noch bevor ein kleiner Tsunami die Küste erreichte, den Hafen zerstörte und viele Menschen tötete. Die beiden gingen in ein Hotel, zogen sich um und nahmen in der Lounge Platz, um etwas Heißes zu trinken. Es war laut, und dann kamen noch die Musiker des Boston Symphony Orchestras herunter, um später ein Konzert zu geben.
Plötzlich begann in einer Ecke des Raums ein Vogel zu singen. Er saß in einem Käfig und sang »mit solcher Schönheit, Klarheit und Autorität, dass der ganze Saal still wurde. Ich habe nie einen Vogel schöner singen hören. Mein Freund und ich hatten schlagartig Tränen in den Augen. … Ich weiß nicht, wie lange der Vogel sang, aber die Stille blieb erhalten. Nicht ein Teelöffel regte sich, kein Glas klirrte, es gab kein Geflüster und niemand kam aus der Küche … Es war ein völlig zeitloser Augenblick und konnte nicht missverstanden werden.« Diese Erinnerung sei ihm sogar noch teurer als die an den Honiganzeiger.