Keep left! – Radfahren in London
Schon nach einem Kilometer ist es ganz normal. Du fährst mit dem Rad links (←), hast Fußgänger links von dir und wirst rechts von Autos überholt. Dein Weg verläuft auf zwei engen parallelen Streifen gelber oder roter Farbe, die neben dem Bürgersteig auf der Fahrbahn aufgemalt sind. Es gibt einige unentwegte Radler, aber nicht viele.
Sogar im Regen sah ich einige, herab aus der ersten Etage im Bus, und die Radfahrer haben keine Angst, wenn sie auf der Busspur fahren und eines dieser roten Ungetüme hinter sich fühlen. Man kann gut radfahren in London, und es macht ebensoviel (oder ebensowenig) Spaß, wie in Zürich und Rom sich auf zwei Rädern zu bewegen, denn in den großen Städten gibt es immer viele junge Männer in glänzenden schwarzen Limousinen (oft auch schwarze Männer in schwarzen Limousinen oder Menschen mit weißem Burnus in weißen Limousinen), die sich wie Götter fühlen und wie der Teufel fahren, auch an Sonntagen. Ein Konzept für das Radfahren in der Stadt muss erst noch entwickelt werden. Marco Pierfranceschi hat es getan, er fasste seine Gedanken in der Sammlung Ripensare la città zusammen. Könnte ich mal übersetzen, aber dazu braucht man Zeit.
Unten an der Themse hat vermutlich Ex-Bürgermeister Boris Johnson (im Amt bis Mai, der neue heißt Sadiq Khan) einen Super Cyclehighway errichten lassen, der vom Canary Wharf östlich vom Tower am Fluss entlang verläuft. Er ist schön ausgebaut, dass auch Dutzende Radler bequem dahinfahren können.
Ich war am letzten Sonntag Ende Mai sieben Stunden unterwegs. In fremden Städten fahre ich, eine gute Karte im Gepäck, gern los und halte eine Richtung ein, bis ich nicht mehr weiß, wo ich bin. Ich fuhr Hügel hoch und hinunter und schaute nach: Plötzlich war ich nördlich von Hampstead Heath gelandet, musste also in südöstliche Richtung weiter. Ich orientierte mich nach Tottenham. Dann sieht man in einer Gegend auffallend viele gläubige Juden, dann meint man wieder, sich in Asien zu befinden, und irgendwann nähert man sich der Themse. Aus einem Park erklang Musik: ein Orchester, das sich Hero Band nannte, spielte auf, und ich hörte eine halbe Stunde zu.
Es gibt wirklich viele Entleihstationen, die von der spanischen Banco Santander finanziert werden. Die ersten 30 Minuten sind kostenlos, und man kann bequem 25 Minuten fahren, das Rad wieder anschließen und ein neues ordern, ohne zu zahlen.
Die tägliche Gebühr für ein Leihrad beträgt nur 2 Pfund, also knapp 3 Euro: ein Spottpreis. Der einzige Schönheitsfehler ist, dass die bei uns gängige Maestro-Karte nicht akzeptiert wird. Man braucht die Visa und dazu die Geheimnummer (die ich natürlich längst vergessen hatte). Darum: kein Leihrad für mich. Zum Glück hatte Tina das ihres Mannes in der Garage stehen.
Nach dem langen Stück an der Themse entlang musste ich wieder nach Norden, an der Paddington Station vorbei, durch den Kensington-Park, dann zum Regent’s Park, den Radler gern zum Training im Eiltempo umrunden. Bis einem dann alles wieder bekannt vorkommt, aha, die nächste rechts führt zur U-Bahnstation Belsize Park, dann die übernächste nach unten, und ich bin wieder am Pub Roebuck’s mit dem schönen Biergarten, in dem man zum Abschluss einen pint trinken kann. In London mit dem Rad – das hast du nun also auch geschafft.
Schön wäre es, meinte Tina, nach Oxford radeln zu können, 80 Kilometer entfernt und gleichfalls an der Themse gelegen. Aber dorthin einen Radweg zu verlegen, haben sie auf der Insel noch nicht geschafft. Außerhalb von London bleibt Großbritannien Radreise-Entwicklungsland, woran drei Tour-de-France-Siege durch britische Fahrer (Wiggins und zwei Mal Froome) nichts ändern konnten. Der Journalist Charlie Woods hat das in seinem Buch Bikie (2000) beklagt und aufgezählt, wieviele seiner Bekannten durch Motorfahrzeuge ums Leben kamen.