Bauen Wohnen
Für Architektur hatte ich mich lange Zeit interessiert. Warum eigentlich? Da ist ein Gedanke, der Form annimmt; und die ideale Form wäre der weiße Kubus mit großen Fenstern vor dem Meer, in dem der Bewohner viel Platz hat. Ungestört wandert er in den Räumen umher, ist behaust und dennoch frei. Das ist wohl der Gedanke.
Immer noch sind die Hochglanz-Architekturzeitschriften und dementsprechende Bücher attraktiv für mich. Die Räume sind immer groß und immer leer; der Betrachter denkt sich hinein und wünscht sich nichts sehnlicher, auch wenn die Preisklasse dieser Wunderhäuser für ihn jenseits des Erreichbaren liegt. Aber träumen darf man.
Martin Heidegger hat in seinem Aufsatz Bauen Wohnen Denken sich Gedanken übers Wohnen gemacht. Bauen sei wohnen, meint er.
Im Retten der Erde, im Empfangen des Himmels, in Erwartung des Göttlichen, im Geleiten der Sterblichen ereignet sich das Wohnen als das vierfältige Schonen des Gevierts. Schonen heißt: das Geviert in seinem Wesen hüten. … Das Wohnen aber ist der Grundzug des Seins, demgemäß die Sterblichen sind. … Genug wäre gewonnen, wenn Wohnen und Bauen in das Fragwürdige gelangten und so etwas Denkwürdiges bliebe.
Rolf Hannes schenkte mir das zweite Heft 2016 der Reihe kritische berichte, die sich dem Thema Auratische Räume der Moderne widmen: Phänomene der Auratisierung und Sakralisierung. Heike Delitz stellt in ihrem Beitrag Divergente Architekturen, divergente Affekt-Kulturen Beispiele aus verschiedenen Räumen der Welt vor: die Zelte der Tuareg-Nomaden, die sich eingrabenden Kollektive am Gelben Fluß in China, die sich erstreuenden Kollektive der Savannenwälder.
Und unsere Lebensweise. »Sesshafte, städtische Gesellschaften mit ihrer undurchschaubaren Menge an gebauten Artefakten und Infrastrukturen sind gegennatürliche, also sichtbar artifizielle Gesellschaften mit einem affirmativen Verhältnis zur Technik«, schreibt Delitz. Die Moderne lebe in der Vorstellung, die Gesellschaft sei architektonisch gestaltbar. Kultur als Ersatzreligion habe den Architekten als Gott, was in einer zunehmend säkularisierten westlichen Welt bereits tief in Frage gestellt sei.
Der Stararchitekt, der Museen baut, hat kaum mehr etwas zu tun. Öffentliche Bauten heute wollen vor allem durch ihre Größe beeindrucken. Industriebauten sind ebenso genormt wie Privathäuser; viel Individualität ist da nicht mehr zu sehen. Auch beim Bauen meint man eine Art Gedankenleere zu verspüren. Alles ist viereckig und weiß – oder aber bunkerartig und grau. Dennoch wird fieberhaft gebaut. Geschont wird da nichts. Energie wird gespart, damit es billiger wird, und alles wird zzugepflastert, damit das Auto schön rollen kann.
Ein gewisser Minimalismus ist Pflicht. Leere Wände, große Räume. Was wie Ordnung und Klarheit wirkt, ist indessen nur Kahlheit und Kälte. In diesen Wohnungen ist man sich nicht nah. Ist auch nicht gewünscht. Die Welt des Modernen Wohnens kommt so abstrakt daher, wie es die Beziehungen ihrer Bewohner sind. Mit Leben sind solche Säle schwerlich zu füllen. Fürs Leben hat man die große Fernseh-Leinwand.