Eremiten

Zuviel Welt hatten wir vor einer Woche. Meine Vorstellung vom Rückzug nach Spanien. Aber dann geht man in die Bar, auf den Markt, ans Meer, zum Radfahren, lernt bald ein Dutzend Leute kennen und ist wieder mittendrin im Geschehen. Da ging es Mönchen, die als Eremiten leben wollten, ähnlich, wie mir das Buch Eremiten und Ermitagen verriet.

In Lucius‘ Antiquariat in Basel hatte ich das schwere grüne Buch gefunden: ein Ausstellungsband. Genau heißt es Eremiten und Ermitagen in der Kunst vom 15. bis zum 20. Jahrhundert und behandelt die gleichnamige Ausstellung in der Öffentlichen Kunstsammlung Basel vom 28. März bis zum 25. Mai 1993.  Lange her; damals gab es in der dortigen Messe die Basler Psi-Tage, die Lucius mit anderen veranstaltete, legendäre Veranstaltungen!

In einem Aufsatz heißt es, Herrad von Landsberg (1195 gestorben) habe den in Askese lebenden Einsiedler über den Münch und den Kleriker auf die höchste Stufe spiritueller Tugend gestellt. »Die ursprüngliche griechische Bedeutung von ›askesis‹ meinte besonders die Vorbereitung des Athleten auf den Wettkampf, der sinnbildlich dem Kampf zwischen den Mächten des Guten und des Bösen gleichgesetzt wurde. … Der christliche Athlet − als Athlet der Tugend − ist der Mönch in seiner Zelle, der sich im Gebet übt und Askese treibt.« Einer der ersten war Antonius, 251 in Mittelägypten geboren. Er besuchte andere Asketen, lebte in Gräbern, in einem Kastell und endlich am Fuß eines hohen Berges 40 Kilometer vom Roten Meer entfernt. Da starb er 356, wurde also 105 Jahre alt. Das Einsiedlerwesen ist eine der Wurzeln des Mönchstums.

Auszug aus Nel Colosseo von Johann Christian Reinhart (1761-1847)

Auszug aus Nel Colosseo von Johann Christian Reinhart (1761-1847)

Das freie und unkontrollierte Eremitentum war den Kontrolleuren der Kirche jedoch ein Greuel. Antonius war zu seiner Zeit beliebt, weil er, in den Worten von Peter Brown, »vor den Augen einer Gesellschaft, die in lastende Verpflichtungen und rücksichtslose soziale Beziehungen verstrickt war, in heroischer Weise die Rolle des absolut autarken, allein auf sich gestellten Menschen spielte.« Aber mit der Einsamkeit war es oft nicht weit her. Und das Anliegen der Eremiten war durchaus dem Irdischen zugewandt und nicht melodramatisch, wie es die Gemälde der Kunst darstellen. Ein Beispiel ist Niklaus von der Flüe (1417-1487), der sich bequemerweise in der Nähe seines Hauses in einer Schlucht als Klausner niederließ und dort zum gesuchten Ratgeber und Mediator wurde. Die katholische Kirche sprach ihn 1947 heilig.

Auszug aus Einsiedlerischer Freimaurermeister von Hieronymus Hess (1799-1850)

Auszug aus Einsiedlerischer Freimaurermeister von Hieronymus Hess (1799-1850)

Gern zeigten Künstler auch den heiligen Hieronymus (340-420), der die lateinische Bibelversion (die vulgata) schuf, nicht als Kirchenvater, sondern als Büßer im »Gehäuse«, wie es Albrecht Dürer tat. Die Pestkatastrophen führten tausend Jahre nach Hieronymus zu einem Ansteigen der Eremiten, die sich untereinander besuchten (wie ab 1080 Herluka und Dietmut am Starnberger See). Auch Rembrandt war von der Verbindung zwischen Gelehrsamkeit und Askese bei Hieronymus fasziniert. Er blieb der beliebteste Vertreter des christlichen Einsiedler-Ideals, das in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts während der Gegenreformation noch einmal propagiert wurde; es mag sich auch um Propaganda gehandelt haben, die Kirchenfunktionäre gern sahen  (und dafür bezahlten), und außerdem waren die Einsiedler-Bilder bei den Konsumenten beliebt. (Schöner Zufall, dass der Künstler von zwei Bildern auf dieser Seite auch Hieronymus heißt: der Basler Hieronymus Hess. Er war wie geschaffen für dieses Sujet.)

Erotisch: Auszug aus Die heilige Magdalena als Büsserin, auch von HIeronymus Hess

Erotisch: Auszug aus Die heilige Magdalena als Büsserin, auch von HIeronymus Hess

Im 19. Jahrhundert wurde das Motiv vollends zum Klischee. Der anonyme Einsiedler saß in frommer Weltflucht in seinem beschaulichen Idyll, und diese Natur wurde der aufkeimenden Industrialisierung und Verstädterung entgegengestellt. Rückzug in die Natur! Das hatte schon Mitte des 18. Jahrhunderts erstmals Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) verkündet; er war der Bestsellerautor seiner Zeit. Diese Parole führte auch zum wild wachsenden englischen Garten, der mit Lustschlössern, Pavillons, mit Tempel, Grotten, Ruinen und Einsiedeleien bestückt war. Also ist der Hang zum Rückzug und zum Eremitentum nichts Ungewöhnliches, aber auch etwas Romantisches und Idealistisches für Leute, die der Verkehr mit anderen und die Hektik der Welt überfordert. Nehmen wir das also nicht allzu ernst. Einsam kann, wer will, auch in der Großstadt sein. Problemlos.

 

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