Werke der Dunkelheit

Ein alter Spruch hieß »Im Dunkeln ist gut munkeln«. Und da geht gut auch mehr. »Die Nacht war eine fruchtbare Zeit für romantische Beziehungen jeder Art, trotz der rigorosen Verbote bezüglich sexueller Aktivitäten« ― so beginnt A. Roger Ekirch in dem Buch At Night’s Close (2004) seinen Abschnitt über die Liebe im Spätmittelalter.

Am Ende des Abschnitts dachte ich mir: In was für öden Zeiten leben wir eigentlich? Dennoch: Vor 500 Jahren waren vor- und außerehelicher Sex verpönt und der öffentliche Austausch von Zärtlichkeiten nicht erwünscht, sogar sündig. Jeder ― vor allem die Frau ― unterlag der sozialen Kontrolle: solange es Tag war. »Licht und Lust sind tödlich verfeindet«, schrieb Shakespeare.

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»Felder. Kirchhöfe, Keller und Scheunen wurden Schauplätze ausgelebter sexueller Begehrlichkeiten«, schreibt Ekirch (wörtlich fell prey to sexual desires). Thomas Waite und Sarah Gowing suchten sich 1682 eine verlassene Brauerei aus. Entlang der Palle Malle sah Pewter Heylyn 1652 überall Paare im »Clinch«.

Ein Besucher Roms schrieb im 18. Jahrhundert: »Mitten in dieser Dunkelheit sind amouröse Zusammentreffen der ärmeren Leute auf den Straßen nicht unüblich.« Wenn Passanten mit Laternen sich näherten, wurden sie angeherrscht: »Volti la luce!« Dreh das Licht weg, damit du nicht siehst, mit wem ich zusammenbin.

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Die Dunkelheit »schuf eine intime Atmosphäre, in dem Worte der Zuneigung freier flossen«. Verheiratete Männer gingen nur nachts mit ihren Geliebten aus. Batt Haler aus Basel, verheiratet mit zwei Kindern, warb um eine junge Frau, und sie tanzten zu Hause auf Teppichen, um niemanden zu stören. Autoren porträtierten verheiratete Frauen, die in Abwesenheit ihrer Männer ihre Liebhaber einluden.

Samuel Pepys, der in London von 1660 bis 1669 ein berühmt gewordenes Tagebuch führte, soll in diesen neun Jahren sexuelle Kontakte mit 50 Frauen unterhalten haben. Diese fanden oft in stehenden oder rollenden Kutschen statt, verborgen von Vorhängen. Einmal sei er zum Haus der Bagwell gefahren, sei im Dunkeln in ihr Zimmer gegangen, »and there fasero la grand cosa upon the bed«. Da führten sie sie  also aus, die große Sache, und auf dem Bett, wie bequem.

Abendliche/nächtliche Treffen von jungen Frauen, die spannen oder webten, mit männlichen Arbeitern (die Treffen hießen spinning bees) gaben Gelegenheit zum Austausch. Manchmal löschte ein Scherzbold plötzlich das Licht, und works of darkness spielten sich ab, beklagte sich ein französischer Pfarrer im späten 17. Jahrhundert.

Man spielte Blindekuh, erzählte sich Zoten und sang erotisch gefärbte Lieder. Das Volksliedgut ist ja voll von erotischen Anspielungen, es geht anscheinend um nichts Anderes. (Das merke ich, wenn ich mit den alten Damen im Wohnheim meiner Mutter Volkslieder mitsinge.) Ein Edikt von 1627 verbot in Bern, am Abend und in der Nacht »unanständige Lieder zu singen oder zu tanzen«.

Wenn die sozialen Zusammenkünfte dann endeten, eröffnete sich die Möglichkeit für Intimitäten. Man konnte seinen Schatz in der Dunkelheit heimbegleiten (to escort). Das ist wohl in den Jahrhunderten danach so geblieben. Ach, ist das alles interessant! Bis ins 19. Jahrhundert hinein war in Neuengland (die Ostküste der Staaten) das bundling erlaubt. Paare, die sich die Ehe versprochen hatten, durften im Haus ihrer (oder seiner) Eltern zusammenkommen, unter Bewachung allerdings.

Berührungen waren erlaubt, aber der Geschlechtsverkehr war es nicht. In manchen Gegenden mussten die beiden sitzenbleiben (die ganze Nacht?). Sie durften sich nur teilweise entkleiden, manchmal musste der junge Mann auch schwören, sie nicht zu sehr zu berühren. Also redete man und liebkoste sich, so weit es erlaubt war. In Skandinavien und Russland war klar geregelt, welche Körperteile der Frau berührt werden durften. Die Eltern waren ja in der Nähe und blieben oft die ganze Nacht wach. So war das. Heute ist es anders, aber auch schwierig.

 

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