„Ich eilte zu Lavatern“

Für meinen Aufenthalt in Zürich, der bis Ende des Monats dauern soll, habe ich vorgearbeitet; die Beiträge kommen daher fast alle aus der Konserve. Ich war auf Johann Caspar Lavater (1741–1801) aufmerksam geworden; und ein prominenter Bote, der im Juni 1775 in die Stadt reiste, führt uns zu ihm hin: Goethe.  

Der Anblick des »Züricher Sees« war Goethen noch gegenwärtig, aber lang hielt er sich nicht damit auf: »Sondern ich eilte zu Lavatern. Der Empfang war heiter und herzlich, und man muss gestehen, anmutig ohnegleichen, zutraulich, schonend, segnend, erhebend, anders konnte man sich seine Gegenwart nicht denken.«

Im Jahr davor war Pastor Lavater in Frankfurt gewesen, und Goethe schildert ihn so: »Er war lang und hager von Gestalt, eine hervordringende spitze Nase zeichnete ihn aus, hellblaue, vielleicht graue Augen gaben seinem Blick, der aufmerkend hin und wieder ging, etwas Tigerhaftes.« Lavater war, wie Goethe schrieb, einerseits brav und edel, aber er konnte, da er etwas verbittert war, andere abrupt und gründlich kränken. Aber Goethen, 25 Jahre alt, mochte der Pastor, der mit 33 auch noch ein junger Mann war.   

Die Physiognomik war Lavaters Spezialität: den Charakter aus dem Gesicht deuten. Das war wohl eine Vorform der Psychologie, und noch zu Zeiten Freuds (um 1900) blühte die unangenehme Phrenologie: Erkenne aus einer Schädelform den Charakter. Schnell war man da zu einem potenziellen Kriminellen abgestempelt.

In den Anmerkungen zu Dichtung und Wahrheit ist zu lesen: »Allerdings zog sich Goethe Lavaters schwärmerischen Prophentums wegen schon nach wenigen Jahren der Freundschaft zurück.« Schon die vier Bände der Aussichten in die Ewigkeit, geschrieben von 1768 bis 1778, waren schwer zu schlucken. Aber von heute aus gesehen ist vieles richtig; freilich mag Lavater die Werke des schwedischen Mystikers Emanuel Swedenborg gelesen haben, die von 1749 bis zu dessen Tod 1772 erschienen.

Lavater schreibt von einem »Lichtleib im Jenseits«, dem »Besuch anderer Welten mit Lichtgeschwindigkeit« und glaubte an das Vorhandensein übernatürlicher Kräfte im Diesseits. Der aus Lichtstoff gebildete Leib werde Züge des ehemaligen Körpers tragen, nur unendlich schöner sein. Und das verklärte Auge könne »die unendlichen Tiefen der Schöpfung Gottes auf einmal von allen Seiten« betrachten. (Hundert Jahre später erst sollte der Spiritismus die vierte Dimension entdecken und Ähnliches schildern.) 

Lavater starb übrigens 1801 an den Nachwirkungen einer Schussverletzung. Die Kugel hatte ihn 15 Monate zuvor in Zürich getroffen, beim Einmarsch der Franzosen, als er auf der Straße einem verletzten Soldaten beistand.  

Ein Kommentar zu “„Ich eilte zu Lavatern“”

  1. Andi Kispert

    Hallo Mani,
    wie geht es Euch Giovanna und Dir?
    Da ich beim besten Willen und nach mehreren Tagen Suche auf Deiner Seite kein Kontaktformular und keine Email finde, schreibe ich jetzt einfach hier rein, und hoffe, dass Du es auch findest.
    Mein Kontakt ist:
    andreas.kispert@gmx.at
    Wir sind gut wieder angekommen und hatten noch eine schöne Zeit auf La Gomera und dann in La Orotava.
    Freu mich auf eine Antwort.
    Ciao Andi