Italien und die Krise
Die Stimmung in Italien sei so schlecht wie nie zuvor. Mit dieser Botschaft empfingen mich meine Freunde, als ich mich, erschöpft von der Reise und erhitzt von zwei Kilometern Fußweg mit Gepäck vom Bahnhof Trastevere, zu ihnen an den Wohnzimmertisch setzte. Das fing ja gut an.
Die Kluft zwischen Arm und Reich verschärfe sich zusehends. Früher hätten die Besitzenden noch etwas abgegeben, hätten Wohltaten an die unteren Schichten durchsickern lassen; heute nicht mehr. Junge Leute arbeiten manchmal für 350 Euro im Monat sechs Stunden täglich im Call-Center. Ein langjähriger Mitarbeiter in einem Ministerium trägt 1400 Euro heim. Die Comune di Roma hat hingegen mal schnell den Preis eines Fahrscheins für die öffentlichen Verkehrsmittel von 1 Euro auf 1,50 erhöht, was gerade die wenig Begüterten trifft. Bus fährt, wer kein Auto hat.
Dann gibt es die Geschichte der 90 Delegierten im sizilianischen Parlament, die im Monat 9000 Euro verdienen plus 4800 Euro Spesen. Ministerpräsident Montis Intervention brachte nichts. Vergangenen Donnerstag hat das nationale Parlament ihn sogar abgestraft und diverse Kürzungen abgelehnt. Es versucht auch, die Wahlen nächstes Jahr vom 6. April auf den 13. April zu verlegen, weil dann erst die Legislaturperiode abgeschlossen wäre und die Parlamentarier eine lebenslange Pension erhielten. Dass die italienischen Europa-Parlamentarier höchst fürstlich entlöhnt werden, weiß man ohnehin.
Die Proteste sind verhalten — vermutlich, weil kein Italiener die Hand für sich selber ins Feuer legen möchte. Wer etwas erreicht hat, muss alles herausholen, so lautet die Regel. Viele würden gern auswandern, doch sie scheitern an der Sprachbarriere. Bei den englischen Sprachkenntnissen liegt Italien in der Europäischen Gemeinschaft auf dem letzten Platz, und wer spricht schon deutsch? Deutschland wird bewundert. Die tollen Autos! Ich werde gefragt, ob es gut sei, dass Frau Merkel so viel Macht habe und antworte, sie habe in ihrem Land auch nicht mehr Macht als Ministerpräsident Monti in seinem. Ihr Land hat die Macht.
In der Stadt Rom ist viel gebaut worden. Ins Testaccio hat man gegenüber vom alten Schlachthof — der mattatoio, nun ein Kulturzentrum — einen modernen Flachbau für die Universität gesetzt mit einem Türmchen aus grünem Glas. Da und dort steht nun ein Business Center. Aber auf die Verlängerung des Radwegs ans Meer nach Ostia, auf die wir Radler seit zehn Jahren hoffen, muss man noch warten, obwohl die Gelder angeblich genehmigt sind. Man spürt hier seine Ohnmacht vor dem »menefreghismo« — der Gleichgültigkeit den Belangen anderer gegenüber.
Es wird gejammert. Der Barmann in Romanos Kino-Schule schimpft lautstark über die Diebe (ladri), die keine Steuern zahlten, und dann fragt er mich: »Wann bist du aus Rom weggegangen?« 2004 sei das gewesen, erwidere ich. »Ach«, stöhnt er, »vor zweitausendvier konnte man noch gut in Rom leben!« Das klang nach Nanni Moretti, der in seinem Film Liebes Tagebuch ausruft: »In den sechziger Jahren muss Rom wunderschön gewesen sein!«
Ich glaube, kein anderes Volk als das italienische kennt einen Spruch wie »Stavamo meglio quando stavamo peggio«: Es ging uns besser, als es uns schlechter ging. (Da müsste es ihnen jetzt ja richtig gut gehen.) Dass dauernd von Griechenland und Spanien geredet werde und nicht von Italien, schreibt man einer geheimen Vereinbarung zwischen Monti und der Merkel zu, die Krise in Italien unter den Tisch zu kehren. Das fällt wiederum unter das Kapitel Verschwörungstheorien, bei denen die Italiener Meister sind.
Sie sind auch Meister der Spruchweisheit. Früher hieß es, wenn es um Krisen ging: »Menomale c’è la Grecia.« (Zum Glück gibt es Griechenland.) Mir sagte eine junge Frau: »Bei uns ist es ja übel. Aber wie übel muss es dann erst in Spanien und Griechenland sein!«