Wir sind Container

Wir bleiben am Thema dran: Ich bin viele. In jedem von uns ist eine ganze Familiengeschichte aufbewahrt, und es liegt an jedem, wie er dieses Durcheinander aufarbeitet und was er weitergibt.

Ich habe keine Erben und gebe nichts weiter. Stimmt aber nicht: Ich schreibe und lebe, ich äußere mich. Mein Vater hat mich gut, aber hart erzogen. Er seinerseits hatte seine Probleme, war der jüngste Sohn, während der Lieblingssohn seiner Mutter in Russland fiel. Meine Mutter wuchs in einer wortkargen Familie auf, und das alles geht natürlich auf ländliche Lebensentwürfe im 19. Jahrhundert zurück und auf alles, was vorher war.

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In uns sind nicht nur unsterbliche Elektronen von den Sternen, sondern auch Spurenelemente des Lebens im Mittelalter aufbewahrt: eigentlich alles vom Anbeginn der Zeiten. Wir sind die Container. In uns mündet alles ein, was vorher war. Alle Lieblosigkeit und alle Versäumnisse gelangen in die nächsten Generation, und jemand zahlt dafür; jemand leidet immer, jemand muss es ausbaden: wir.

Es mag sein, behauptete Marge Rieder, dass das, was wir für Reinkarnationserinnerungen halten, kollektive Erinnerungen aus der Familiengeschichte sind, die sich auf uns übertrugen. Man weiß ja, dass die Kinder von Holocaust-Überlebenden auch gewisse Traumata übernommen haben, ohne sich dagegen wehren zu können. Nicht nur die Täter, auch die Opfer müssen leider sühnen und für die Fehler in der Welt geradestehen, obwohl sie nichts dafür können.

Alle Schuld rächt sich auf Erden, heißt es. Das Opfer fängt das Böse auf und neutralisiert es. Für jedes Fehlverhalten zahlt jemand. Unsere Verantwortung ist es, stets ethisch zu handeln und möglichst wenige unter uns leiden zu lassen; aber wir können es nicht verhindern, anderen wehzutun. Manchmal kommen die Motive von weit her, und auch wir verstehen uns nicht immer.

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Darum müssen wir uns selbst nahe kommen, dann erst können wir echte Nähe mit anderen erleben. Wenn ich alte Dias von Urlaubsreisen betrachte, werde ich traurig. Ich habe das Gefühl, dass da nichts war. Ich bin beziehungslos durch die Welt geglitten und habe immer nur geschaut, Ausschau gehalten nach irgendetwas, das nicht kam, weil ich weit entfernt war von mir, von Gott und von den anderen. Man wartet immer nur auf Liebe und sollte sie selber verströmen, aber das ist schwer, wenn man verstrickt ist und von einem Zauberbann gebunden. Man muss jeden Tag aufstehen und in die Schlacht ziehen. Sein Schwert ziehen und brüllend losstürmen sollte man. Sollte man.

 

 

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