Pont St. Esprit
Pont St. Esprit heißt Brücke des Heiligen Geistes und wurde in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erbaut. Sie gab dem Ort an der Rhône 100 Kilometer südlich von Lyon seinen Namen, und dieser Name faszinierte mich. Da musste ich hin, zumal da auch die Ardèche-Schlucht beginnt, was schöne Rennradtouren versprach.
Ich wollte Geist. Warum nicht einen Aufenthaltsort nach seinem Namen auswählen? Die Theorie wurde umgesetzt. Ich fuhr mit dem Volvo 600 Kilometer, parkte gegen 18 Uhr in der Innenstadt, und der Frittenbrater Serge wies mir den Weg zum Hotel de la Bourse. Da blieb ich eine Woche unter der Obhut eines sehr freundlichen Ehepaars.
Ich lernte den Ort kennen, der 10.000 Einwohner hat. Man muss zuweilen aus seinen alten Strukturen ausbrechen und sich wo neu niederlassen, als würde man da wohnen. Man orientiert sich neu, man bringt sich ein, man gibt etwas und erhält etwas zurück: Freundlichkeit und neue Energie. Jeder gewinnt dadurch.
Ich hatte ja das Buch Sha’are Ora (Tore des Lichts) von Joseph Gikatilla dabei und wollte es lesen, wollte mein eigenen Buch zusammenstellen und redigieren, und das alles gelang mir. Ich las morgens jeden Tag über eine oder zwei der Sphären des Rabbi, fuhr meist um 12 Uhr mit dem Rennrad aus und holte mir am Abend meinen Imbiss, bevor ich mich in mein Manuskript vertiefte.
Nach ein paar Tagen kannte ich die Inhaberin der Boulangerie La Tartine, den Angestellten der Bar Spiripontaine, den Mann vom Fahrradgeschäft, die Bettlerin mit ihrem Hund neben dem Intermarché, hatte das Museum mit christlicher Kunst aufgesucht und die Buchhandlung, die ein intellektuelles Zentrum, sozusagen die Seele der Stadt darstellte. Ich war heimisch und erinnerte mich an Santa Marinella. Sofort hätte ich mich in Pont St. Esprit niederlassen können, ich hätte mich wohlgefühlt, und die Leute hätten mich akzeptiert.
Durch die vielen Bars und eine Disco, die am Freitagabend aktiv ist, gibt es da ein städtisches Leben. Viele Leute sind arm, und nie sieht man in Deutschland so viele schlecht gekleidete Gestalten wie in der Bar Spiritpontaine. Viele Araber sind auch in Pont St. Esprit ansässig. Oben steht die alte Kirche, die Gassen sind verwahrlost und am Abend leer, und unten strömt der Fluss dahin wie seit Jahrhunderten. Man kehrt in sein Hotelzimmer zurück, verbindet sich über WLAN mit dem Internet, sieht fern, geht auf die Terrasse zum Rauchen. Am ersten Sonntag im März gab es sogar einen Frühlingsmarkt.
Hinterher, wenn man zurückgekehrt ist, fehlt es einem. Doch jene Welt von Pont St. Esprit lebt weiter, auch wenn ich nicht mehr in ihr weile. Gut zu wissen, dass es sie gibt. Dieser Ort hat mir Geist gespendet, wir trennten uns in Freundschaft, Pont St. Esprit und ich, und eines Tages werde ich wiederkommen.