Fotokunst

Ich fuhr an einem Mittwoch nach Winterthur ins renommierte Fotomuseum. Hatte auch Glück, es war offen. (Wenn man Pech hat oder sich nicht informiert, bauen sie die nächste Ausstellung auf. 14 Tage geschlossen.) Also wieder die klösterliche Stille eines Museums, wie hatte sie mir gefehlt!

Die Eingangshalle

Die Eingangshalle

Die Hauptattraktion war Panorama von Francesco Jodice, geboren 1967. Er reist viel in der Welt herum und hat in Russland, Singapur, Sao Paolo und Nevada fotografiert und recherchiert. Er hat darüber Filme gedreht; einer behandelt etwa ein Geisterschiff, die Yioban, die 1996 mit 283 Flüchtlingen an Bord unterging, was fünf Jahre geleugnet wurde. Das Schiff liegt immer noch auf dem Meeresgrund.

In der Wüste Nevada erinnerte er an die 1032 Atombombenexplosionen von 1951 bis 1992. Atombombentests! Man fragt sich nach deren Sinn. Ist eine Bombe, die explodiert, ohne Menschen zu töten, nur eine Testbombe? Was wollten die Amerikaner testen?

Ein guter Satz von Jodice: »Die sanfte Allgegenwart der amerikanischen Kultur hat den Aufbau des ersten deterritorialen Reiches der Geschichte ermöglicht.« Sie haben uns überrollt. Wir wissen alles über Leo di Caprio und Angelina Jolie, als würden nicht auch woanders Filme gedreht. Denken wir an Starbuck’s, an Google, Youtube, Amazon, Bnb … Die Amerikaner haben es drauf. Haben geistig nichts drauf, aber erobern die Welt so nebenbei.

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Die anderen Ausstellungen, die man mit dem Kombiticket sehen kann, sind eher mäßig. Situations bringt ein paar Installationen, die einem zu Bewusstsein bringen, dass Bildende Kunst auch mit Scharlatanerie zu tun hat. Man muss eine dürftige optische Attraktion nur mit dem Gerüst einer Theorie umkleiden, die geschmeidig formuliert ist (die der Kenner aber sofort als fadenscheinig durchschaut), und dann, so die Meinung, ist das Kunst.

Oft ist es nur ein Ärgernis, kaum durchdacht, schnell produziert. Schon in London vergangenes Jahr hatte ich mir das gedacht. In der Ausstellung über The Voice war viel Beliebiges zu sehen, viel Blödsinniges, und ich denke mir, die Bildende Kunst ist die ideale Projektionsfläche für Narzissten, und die Konsumenten lassen sich nur allzu oft von einem Nichts betören.

Dann gab es noch Fremdvertraut. Aussichten auf die Schweiz. Fünf junge Künstler zeigen, wie man die Schweiz sieht. Auch das war viel Rumgetue, hinter dem sich nichts verbarg. Hunderte Porträts von jungen ausländischen Menschen in den Bergen; was zeigt mir das? Selfies sind leer. Außerdem nervt mich diese Fixiertheit der Schweiz auf sich selbst. Die Bewohner wollen immer nur wissen, wie man die Schweiz sieht und wie man sich fühlt, und dann sieht man nur Berge und Kühe, und das war’s.

Der Schweizer Gymnasiallehrer streicht manchmal eine sechsstellige Summe jährlich ein, sagte mir ein Freund; dann fährt er am Samstag mit dem Jaguar hinüber nach Düütschland, prügelt sich mit einem Schweizer Behördenchef um den Parkplatz, kauft dick ein, holt sich an der Grenze die Mehrwertsteuer wieder und hat so einen speditiven Samstag verbracht und nebenher 200 bis 300 Franken verdient. Junge Männer können sich einen schwarzen BMW leisten und durchs Land röhren, so lange sie die Polizei umgehen, und … frei sein wie Tell.

»Und dann blieb plötzlich mein Herz stehen«, heißt es auf einem Plakat. Ich dachte an das Zitat da ward mir mein Herz aus der Brust genommen von Robert Musil, was auf einem Spaziergang sogar meine Mutter zu einem erstaunten Ausruf veranlasste … aber in der Schweiz war das ein konkreter Fall, ein Mann wurde vom Rettungshubschrauber der Rega gerettet. Der Wert Ihrer Immobilie auf dem nächsten Plakat. Milch und Joghurt sind wieder sexy Produkte, lobt 20 Minuten.

Alles basic und bodenständig, geheimnislos und banal bunt. Der Triumph der Oberfläche. So ist unsere Welt im Westen. Durch diese hohle Gasse muss er kommen, sagt Wilhelm Tell. Überall nur hohle Gassen und dekorative Kulissen, zwischen denen das Nichts hervorlugt, aber man kann immer ein paar Fotografien davorkleben.

 

 

 

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