Blackout

Ich habe meinem Esoterik-Verleger ein Buchmanuskript geschickt, an dem ich gern noch gearbeitet hätte. Doch er fragte an, wie die Chancen stünden, den Text nächste Woche zu kriegen ..!? Er kriegte ihn. Dienstagnacht war das. Es geht um Elektrizität und Elektrosmog.  Im Gespräch mit Nachbarn kamen wir auf Blackout, ein Buch, das mir Otto gerne lieh. So lag es vor meiner Türschwelle, 797 Seiten dick.

Ich schreibe etwas vage darüber, weil ich es nur zwei Mal durchgeschaut habe. Gefiel mir nicht. Gefällt mir immer noch nicht. Liegt aber vier Jahre nach seinem Erscheinen immer noch auf Platz 27 bei Amazon. Das heißt, dass sein Autor, Marc Elsberg, zehn Jahre jünger als ich (was bedeutet: auch schon 50 Jahre alt), damit reich geworden ist.

Torre Chiaruccia in Santa Marinella beziehungsweise das, was von Marconis Versuchsstation blieb.

Torre Chiaruccia in Santa Marinella beziehungsweise das, was von Marconis Versuchsstation blieb, der als erster drahtlose Wellen über den Atlantik schickte

Dann hat er noch Zero veröffentlicht (459 Seiten, Platz 447) und Helix (649 Seiten, Platz 1.373). Der »Junge« schreibt gerne lange Bücher, hat aber damit seine Acht-Zimmer-Villa in Florida sicher, noch dazu ein Penthouse in New York. Beneidenswert. Weniger beneidenswert, dass sich Elsberg vielleicht für einen tollen Autor hält, vielleicht sogar für ein Genie. Das ist eine Täuschung. Zwischendurch fiel mir eine kuriose Bemerkung von Corina auf: Eine Wissenschaftlerin habe festgestellt, dass man, wenn man von jedem Buch die Seite 47 lese, wisse, ob einem das Buch gefalle.

Vielleicht ist da etwas durcheinandergekommen. Wenn man nach „Seite 47“ sucht, stößt man auf einen Film mit Nicolas Cage, der National Treasure: Book of Secret heißt und 2008 herauskam. Zwei Fortsetzungen hat man auch noch gedreht. Da sagt Nicolas Cage, was auf Seite 47 stehe, sei »lebensverändernd«. Jedenfalls. Seite 47! Lesen wir einen Teil von Seite 47 in Blackout:

Nach dem Spülen verendete der Wasserkasten mit einem Röcheln. Manzano vermisste das leise Rauschen, mit dem das Wasser den Tank üblicherweise füllte. Er drehe die altmodischen Wasserhähne am Waschbecken auf, und sie antworteten mit einem ähnlichen Geräusch wie das Klo und spuckten ein paar Tropfen aus, bevor sie hustend verstummten. Noch einmal testete Manzano die Toilettenspülung. Der Knopf bot keinen Widerstand, das Wasser blieb aus.   

Nicht gerade erhellend. In Blackout geht es um einen Stromausfall, der ganz Europa befällt, und seine Folgen. Jemand hat die Stromnetze gehackt, und der italienische Internetrebell Manzano löst den Fall. Man erfährt, wie dramatisch es sein kann, wenn der Strom wegbleibt. Irgendwelche Leute, die meist mit Nachnamen genannt werden, reisen durch die Welt; viele Schauplätze, viele Zentralen mit Computern, viele Politiker und viele Entscheidungen.

Der Autor hat brav referiert, was er recherchiert hat. Man lernt etwas. Aber ein Roman ist es nicht. Es fehlt die Magie. Die handelnden Personen werden nicht richtig plastisch. Alles bleibt holzschnitthaft und dürftig. Wenig amore. Technokratisches Geschreibsel, keine Einfühlung. Karge Sprache. Deprimierend und öde. Nichts ist da, was auch nur annähernd an eine 400-jährige Geschichte (des Romans) erinnerte. Und Leser lesen das und halten es für einen Roman.

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stand vergangenen Montag die Rezension eines Skandinavien-Krimis, geschrieben von einer Kickboxerin. (Leider finde ich den Artikel nicht, manche Beiträge verschwinden schon nach Stunden aus dem Online-Angebot.) Jedenfalls hieß es: Spannend werde es nach 100 Seiten, dann wieder 200 Seiten Pause. Jeder Duschgang und jedes Frühstück müsse nicht »auserzählt« werden (Kunst ist Weglassen). Viel Erotik ist geboten, äußerst grausame Taten bilden den Kern, und am Ende kriegt Leserin einen Showdown, bei dem die Kickboxerin alles niederhaut, was böse ist. Schlampig übersetzt. Eine Fortsetzung sei zu befürchten. – Meidet zeitgenössische »Romane«! Lest keine Krimis!

Ø Ø

Bei Mark Twain (wo er James Fenimore Cooper kritisiert) fand ich 18 Regeln für einen guten Roman, darunter etwa 1. dass eine Geschichte etwas vollbringt und irgendwo hinführt; 2. dass die einzelnen Episoden einer Geschichte notwendige Teile des Ganzen sind und zur Entwicklung des Ganzen beitragen; 3. dass die Gestalten in einer Geschichte lebendig sind, es sei denn, es handelt sich um Leichen; ferner muss der Leser die Leichen stets von Lebenden unterscheiden können; 4. dass die Gestalten in einer Geschichte − ob lebendig oder tot − genügend Rechtfertigung dafür in sich bergen, dass sie da sind; 5. dass, wenn die Gestalten in einer Geschichte in einer Unterhaltung begriffen sind, ihre Rede wie menschliche Rede klingt. (…) 10. dass der Autor dem Leser tiefes Interesse an den Gestalten seiner Geschichte und ihrem Schicksal einflößt; 11. dass die Charaktere in einer Geschichte so klar angelegt sind, dass der Leser im voraus sagen kann, wie ein jeder sich in einem gegebenen Notfall verhält.

Dazu gebe es kleinere Regeln, so dass der Autor 12. sagt, was er sagen will, und dem nicht nur nahe kommt; 13. das richtige Wort anwendet und nicht seinen Vetter zweiten Grades; 14. Unwesentliches meidet; 15. keine notwendigen Einzelheiten auslässt; 16. schludrige Form meidet; 17. sich an die Regeln der Grammatik hält; 18. sich eines einfachen und schlichten Stils befleißigt.

Wenigstens Regel 18 wird in modernen Romanen beherzigt, weil die Autorinnen und Autoren zu mehr nicht in der Lage sind.

 

 

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