Eineinhalb Meter
In Zürich, finde ich, ist es am schlimmsten. Autofahrer fahren ganz dicht an mir, dem Radfahrer, vorbei. Einmal streifte mich eine Smart-Fahrerin fast, hielt an, entschuldigte sich; dann überholte sie mich ein zweites Mal und fuhr wieder ganz dicht vorbei. So sind sie, unsere Autofahrer.
Die Zeitschrift Radwelt des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) widmete in ihrer jüngsten Ausgabe 4/2017 zwei Seiten dem Thema Sicherheitsabstand beim Überholen von Radfahrern. Schon seit den 1950-er Jahren gelten 1,50 Meter als der richtige Abstand, festgelegt von Oberlandesgerichten in Saarbrücken und Düsseldorf. Dicht dran betitelte der ADFC den Beitrag; Zu dicht dran hätte er heißen müssen.
Man sieht sie von hinten kommen, im Spiegel, und dann sind sie nicht in der Lage, zu bremsen und drücken sich vorbei, auch wenn ein anderes Auto entgegenkommt. Die deutschen Autofahrer haben das Bremsen und das defensive Fahren verlernt. Das allgemeine Tempo des Lebens führt dazu, dass die Ansicht vorherrscht: Da komm ich schon noch durch. Wer bremst, verliert. Deutsche Autofahrer reagieren wie ihre soldatischen Vorfahren: vorwärts, immer nur vorwärts!
Bei unserer Erstürmung des Kühtai-Sattels streifte ein italienischer Kleinwagen Helmut fast, und jeder, der mit dem Rad unterwegs ist, erlebt Autofahrer, die ganz knapp passieren. Ich schreie dann immer laut (Helmut auch) und zeige auch mal den Stinkefinger. Vor ein paar Jahren streifte mich in Palermo ein alter Mann in seinem Auto im dichten Verkehr, aber das war harmlos. Schlimmer sind die Lastzüge, die vorbeijagen. Vor vielen Jahren hätte mich so einer am Anstieg nach Au bei Freiburg beinahe untergepflügt. Mit letzter Kraft hielt ich meine Spur.
Bei Lastwagen will die deutsche Rechtsprechung sogar 2 Meter Mindestabstand. Der ADFC meint (durch dessen Rechtsreferenten Roland Huhn), wer zu knapp überhole und durch Sogwirkung, Erschrecken oder Verunsicherung beim Radfahrer einen Beinahe-Unfall provoziere, mache sich der Straßenverkehrsgefährdung nach §315c des Strafgesetzbuches schuldig und könne belangt werden.
Doch beweisen lässt sich so etwas nicht, außer, man kann einen Dicht-Überholer aufs Bild bannen. Aber wer hat immer eine Kamera schussbereit? Und man könnte ja nur einen fotografieren, der weiter vorn einen Kollegen gefährdet. Es gab eine Zeit, da montierte der Radler an seinen Gepäckträger links einen 30 Zentimeter breiten Abstandhalter aus Plastik mit Katzenauge. Mag geholfen haben.
Ein echtes tolerantes Zusammenleben zwischen Automobil und Fahrrad gibt es nicht, so wie es das nicht zwischen Löwe und Wüstenmaus gibt. Das Auto ist zwanzig Mal so schwer wie ein Fahrrad und drei Mal so schnell. Darum muss der Schwächere geschützt werden.