Die Stadt des Automobils
Die Stadt des Automobils in Mulhouse (Cité de l’Automobile) habe ich mit meinem Nachbarn Otto besucht. Vor 20 Jahren war ich schon einmal dort; zu sehen ist die berühmte Sammlung der Gebrüder Schlumpf, entstanden um ein paar Dutzend Bugatti-Modelle herum. Es ist die größte Sammlung der Welt.
Sie ist in einer riesigen Halle untergebracht. Aufgereiht steht da Auto neben Auto, und vornehmlich sind es schnelle Modelle, Luxuskarossen und wahre »Schiffe« von 7 Metern Länge, opulent ausgestattet mit Ledersitzen und Holzarmaturen, vorzugsweise aus der Periode von 1920 bis 1950. Man patrouilliert also an diesen zum ewigen Stehen gezwungenen »Fahrzeugen« vorbei, den heiligen Objekten des Industriezeitalters.
Die mattglänzenden Automobile in vierlei Farben warten scheinbar auf uns, aber man darf sich nicht in sie setzen, weil sie heilig sind und teuer waren. Fritz Schlumpf und sein Bruder Hans erwarben an die 600 kostbare Autos mit der Folge, dass ihre Textilfabrik, da zahlungsunfähig, schließen musste. 2000 Menschen wurden arbeitslos. Dafür entstand das größte Automobilmuseum der Welt. (Vermutet hatte ich das ja.)
Durch diese Sammlung sieht man die ganze Überhebung des Menschen, der seiner Größe immer durch Objekte Ausdruck verleihen wollte. Und das Auto war ein besonderes Objekt: Es gestattete die Fortbewegung und zeigte als rollendes Statussymbol, wer man war. Man kriecht hinein und fühlt sich wie im Mutterleib, und es dehnt einen aus, stellt einem gleichzeitig die Welt auf Distanz. Man ist dabei und doch nicht richtig in in der Welt. Politiker, Filmstars und Sportler repräsentierten (sich) mit ihren Autos.
Damals übersetzte sich angenommene persönliche Größe immer in wirkliche Größe. Wunderbare Motoren, langgestreckte Kühler, ausgedehnte Heckpartien, cremiges Glattleder, Intarsien und Armaturen aus Nussbaum und Edelholz schmeicheln dem Auge. Es ist eine Orgie für den Auto-Liebhaber, und der Autos sind es viel zu viele für nur zwei, drei Stunden.
Früher rollten gekrönte und gewählte Häupter mit diesen Dingern durch die Gegend, heute kann sich auch ein Angestellter des mittleren Managements ein fahrendes Großgerät leisten. Die Folgen von allgemeinem Wohlstand machen sich seit vielen Jahren auf den Straßen bemerkbar. Die Leute wollen das Automobil, ja, und jedem eins zu ermöglichen und die Städte autogerecht zu gestalten wurde um so lieber in Angriff genommen, da das Automobil einer Menge Leute eine Menge Profit eintrug.
Mulhouse außerhalb der Autostadt hat moderaten Verkehr. Auch durch das Elsass fährt man ohne Mühe. In den Städten stauen sich die Fahrzeuge, es ist nun wie in Italien. Die einst luxuriöse Kutsche wurde perfektioniert und banalisiert. Das Automobil gehört zur unhinterfragten Grundausstattung des zivilisierten Menschen. Im Museum in Mulhouse erleben wir den Adel und die Elite aus den ersten 50 Jahren unseres motorisierten Fahrzeugs.
Da darf man staunen und sich erhoben fühlen, und doch ist das Automobil ein Machtinstrument und ein Artikel darüber »fast ein Verbrechen« (um Brecht ins Feld zu führen), »weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt«.