34 Jugend
Das 34. Heft der Kritischen Ausgabe (Uni Bonn, oft schon erwähnt) heißt Jugend. Passt ja, die Autorinnen und Autoren sind alle jung, aber Tugend hätte ich auch für ein interessantes Thema gehalten, weil grad das Seltsame zu Gedankenflügen anregt. Also die Jugend. Erst mal eigene Gedanken.
Ich begreife nicht richtig, wie alt ich schon bin. Anderen geht es anscheinend ähnlich, aber da gibt es ja die Muster, wie es sich alterskonform zu verhalten gilt; und es gibt die äußeren Zwänge. Zur Zeit bin ich von buddhistischen Lehren beeinflußt, und deren Wahlspruch kommt mir entgegen: sich über die Katregorien erheben. Also nicht extra jugendlich sein, sondern: möglichst ignorieren das alles (solange es geht).
In vielen Bereichen meines Lebens bin ich Jugendlicher geblieben. In anderen bin ich steinalt. Wir alle konnten uns nicht vorstellen, einmal älter als 40 zu sein; das erreicht, waren auch 50 und 60 kein Problem. Wir sehen jung aus, haben Energie, sind sportlich (wir: ich), und wir genießen es so richtig, der Zwänge enthoben zu sein. Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Doch nun zum Heft.
Jugend auf der Flucht von Christine Ansari und Caroline Frank ist lesenswert. Behandelt wird zuerst das Buch Krieg. Stell dir vor, er wäre hier von Janne Teller vorgestellt. Es ist ein Erzählporhjekt, das die Jugendlichen mit DU anspricht und sie zur Identifkation mit jungen Flüchtlingen zwingen soll. Die Hälfte der 60 Millionen Menschen, die auf der Welt fliehend unterwegs sind, sollen jünger als 18 Jahre sein.
Das zweite Buch ist eine Graphic Novel von Reinhard Kleist, Der Traum von Olympia. Die Geschichte von Sami Yusuf Omar (2015). Es ist eine wahre Geschichte, die traurig endet. Und dann noch: Bestimmt wird alles gut von Kirsten Boie, Bericht einer Flucht aus Syrien nach Deutschland in zwei Sprachen (deutsch/arabisch). Die Frage ist, ob eine »reflexive Distanz« zur eigenen Alltagswelt und eine Identifikation mit den Protagonisten funktioniert.
Wolfgang Herrndorfs Tschick, den man unbedingt einmal lesen sollte, wird in einem schönen Beitrag analysiert (… die Erwachsenen werden sofort eliminiert … von Sabine Planka), die Darstellung von Homosexualität bei Andreas Steinhöfel und Tamara Bach kommt zur Sprache, und Cornelia Funke wird zum 60. Geburtstag gewürdigt – als die international erfolgreichste deutsche Schriftstellerin. Vor 15 Jahren erschien ihr wichtiges Buch Tintenherz, und sie sagte einmal: »Kinderbücher müssen wie Erwachsenenbücher geschrieben sein – nur besser.«
Unter der Rubrik Vergessene Autoren erinnert die Kritische Ausgabe an den Österreicher Anton Kuh (1890-1941), ein verkannter und nicht mehr rezipierter Feuilletonist und Kaffeehaus-Literat, zog 1928 nach Berlin und emigrierte nach New York, wo er 1941 an einem Herzanfall starb. Da lebte seit 1938 auch der Bayer Oskar Maria Graf (1967 dort gestorben). Kuh schrieb pointiert, dabei schnell und spontan, war ein großer Vortragskünstler und begriff die Bedeutung Franz Kafkas. Walter Schübler aus Wien legte nach zehnjähriger Arbeit eine Werkausgabe vor.
Verantwortlich für »Jugend« sind Clarissa Benning und Annkathrin Hohl, und das Heft ist in 400 Exemplaren im Verlag Dreiviertelhaus erschienen (ISBN 978-3-96242-034-5). Es kostet 9 Euro. – Das erste Bild zeigt junge Spanierinnen beim Karneval 2013, das zweite junge Spanierinnen und Spanier an einer Statue für Miguel de Cervantes.)