Rhythmen und Theater

Sonderbare Phänomene erlebt man in der Welt. Und schon bei kleinen Beobachtungen kann man sich fragen (frage ich mich): Was sagt mir das über das Universum oder, weniger pathetisch, über Mensch und Welt? Wie bei der Begegnung mit einer extravaganten Frau in Heitersheim …

Dann benütze ich manipogo als Denkplattform. Und komme weiter. Mehrmals war mir aufgefallen, dass ich bei längeren Radtouren oder Ausflügen bei Abfahrt und Rückkehr denselben Menschen treffe, der anscheinend wie ich abfuhr und mit mir zurückkehrt, als hätten sich unsere Rhythmen einander angeglichen. Das habe ich nicht einmal erlebt, das erlebe ich oft.

Kürzlich fuhr ich hoch zum Blauen und kam nach drei Stunden zurück. An der ersten Anhöhe, noch im Ort, überholte mich ein Kieslastwagen. Als ich die Anhöhe, zurückkehrend, hinunterfuhr, kam von hinten ein Lastwagen. Ich wusste, es würde der von drei Stunden vorher sein. Er war es.

Nun die extravagante Frau. Ich fuhr in Heitersheim an ihr vorbei, als ich eines Abends um halb neun nach Fessenheim wollte. Sie trug Schirm, schwarzen Strohhut mit Spitzen, einen weiten weiß-schwarzen spanisch anmutenden Folklorerock, war alt und hätte eher nach Cordoba oder Mantua gepasst als nach Heitersheim. Ich dachte mir noch: Wie fühlt sie sich wohl, alle starren sie sicher an, weil sie so exotisch gekleidet ist, ganz schön verrückt.

In Fessenheim sollte – es war der Abend des 13. Juli ― ein Fest sein zum Nationalfeiertag. Es spielte aber nur eine Kapelle, und nicht mal Wein oder Flammenkuchen gab es. Ich fuhr gleich wieder zurück und erreichte zwei Stunden später, also gegen halb elf, Heitersheim. Nun entschied ich mich spontan und ohne nachzudenken gegen die Route des Hinwegs, auf der ich die Frau gesehen hatte, und fuhr weiter rechts.

Und da kam sie mir wieder entgegen und schob einen Einkaufswagen. Vermutlich war sie zum Späteinkauf in den Rewe gegangen. Sie schaute mich sogar kurz an. Hätte ich sie treffen wollen, dann hätte ich natürlich dieselbe Strecke wie auf dem Hinweg nehmen müssen. Ich hatte sie aber völlig vergessen; bis ich sie wieder sah.

Das heißt: Was du auch tust, dein Weg muss den ihren kreuzen, um irgendwie deine Runde zu beglaubigen. Diese beiden Rhythmen gehören zusammen und kreuzen sich zwei Mal für einen kurzen Moment. Diese Wege werden zusammengeführt, es muss so sein. Vermutlich gibt es auch das Schicksal: schicksalhafte Begegnungen. In der Liebe etwa. Da habe ich noch Material für manipogo.

Ich nehme einen Menschen beim Abfahren wahr, und das muss vielleicht so sein, damit ich ihn bei der Rückkehr auch erkenne. Das gibt einen Eindruck von Ordnung. Mehr noch: Es wirkt wie fabriziert, wie orchestriert, es wirkt wie Theater. Als zeige die Welt dir, wie sie gebaut ist.

Gegenüber von diesem Rewe ist ein Zahnarzt, zu dem ich vor einem Monat eine Bewohnerin begleiten musste. Der Wagen vom Roten Kreuz hielt auf dem Parkplatz, ich stieg aus und begleitete meine Bewohnerin. Da fiel mein Blick auf eine Nachbarin, die da gerade einkaufte. Und beim Abfahren rollte mit ihrem Auto eine weitere Frau vorbei, die ich gut kannte, und ich kenne in Heitersheim eigentlich nur vier Menschen. Es mag banal wirken, wenn man das so liest, aber ich fühlte mich plötzlich wie verzaubert, es kam mir wie ein Theateraufführung vor. Da wird dir was vorgespielt, dachte ich mir, es war wie die Öffnung eines Gewebes, und du meinst, alles dahinter zu sehen, und der Alltag ist durchzogen von Klarheit.

Wie bei Koinzidenzen und Synchronizitäten, die einem zu gewissen Zeiten öfter zukommen. Man sollte sie aufschreiben, denn sie gehen schnell verloren. Das erlebt man und ist sprachlos, denn es hat sich die Struktur des Universums aufgetan.Ein Beispiel: Im März 2017 dachte ich an einem Tag viel über die Schechina nach, im Judentum Gottes Anwesenheit in der Welt, jedoch weiblich, da ist Gottes Heiliger Geist ist und da, wo Segen herrscht. Ich fuhr nach Betberg und besuchte die dortige Kirche, dachte an die Schechina, und da fiel mein Blick auf ein Faltblatt, das eine Reise ankündigte. Sie hieß Wenn die Wüste blüht, der Veranstalter waren die Schechinger Tours (Wildberg-Sulz), Leiter Walter und Marianne Schechinger, und die Reise sollte von 6. bis 16. März dauern. Reiseziel: Israel. Natürlich. Das Faltblatt liegt hier vor mir, ich war damals platt.

Vielleicht ist die Welt so: voller Ordnung. Am 11. Juli nahm ich den Zug nach Lahr, fuhr auf den Kandel, hinunter nach Freiburg und heim. Ich nahm einen Zug früher als geplant – und der geplante wäre ausgefallen; ich wollte einen Rolf besuchen und traf dann den zweiten Rolf, den ich kannte, und ich kam auf die Minute genau zwölf Stunden nach der Abfahrt zu Hause an und saß wieder am Schreibtisch.

Crazy, dachte ich mir. Das kommt so, und wenn du versucht hättest, genau nach zwölf Stunden wieder zu Hause zu sein, es hätte bestimmt nicht geklappt. Den Flow kriegst du nur, wenn du nicht an ihn denkst, wenn du das Denken und dein Ich ausschaltest. Ich lese gerade über den tibetischen Buddhismus, und Chögyam Trungpa sagt: Schalt den Beobachter aus. Nimm alles wahr ohne Bewertung, mach dir keine Illusionen, schau alles an, wie es ist. Vielleicht sollte man nicht mal drüber nachdenken, aber so ist man halt.

 

 

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