Vom Verschwinden der DDR (5): Rummelplatz

Günter Grass nannte den Rummelplatz von Werner Bräunig ein »großes Buch«. Werner Bräunig zeichnet die ersten acht Jahre nach dem Krieg in der DDR nach, bis hin zum Arbeiteraufstand 1953. (Mit diesem Beitrag geht manipogo in sein achtes Jahr.) Die Wismut AG bei Chemnitz, das Leben unter Tage dort, die politischen Pressionen, Ängste und Hoffnungen in dem jungen Staat.

Der Titel Rummelplatz mag verwirren. Er ist wohl metaphorisch gemeint: die taumelbunte Welt, wie machst du satt und müd, wie machst du trunken, was heut noch glüht, ist bald versunken (Hesse). »Uralte Faszination der Jahrmärkte!« schreibt Bräunig und holt mit seiner vielschichtigen Prosa aus:

… die Menschen hier hungern nach Geselligkeit stärker und verzweifelter als anderswo. Im Gebirge sind sie fremd, unter Tage sind sie allein … Als Glücksritter sind sie aufgebrochen, als Gestrandete, Gezeichnete, Verzweifelte, als Hungrige. Sie sind über das Gebirge hereingefallen wie die Heuschrecken. Jetzt zermürbt sie das Gebirge mit seinen langen Wintern, seiner Eintönigkeit, seiner Nacktheit und seiner Härte. Wenn nichts sie mehr erschüttern kann, nach allem, was hinter ihnen liegt, das Licht erschüttert sie. (75/76)

Das ist schon fast eine religiöse Passage. Rummelplatz ist jedoch ein handfester, handlungssatter Roman mit vielen wahren Gestalten: ein Arbeiterroman, wie man ihn sich nur vorstellen kann. Doch das Vulgäre, Lebenspralle, Realistische war nichts für die DDR-Oberen, die einen asketischen Sozialismus predigten und in Umlauf sehen wollten, mit dem Paradies im Blick, ähnlich wie die Frühchristen. Der Roman wurde 1965 aus dem Verkehr gezogen, und viele meinten, er hätte keine Chance gehabt, auch mit Änderungen nicht. 40 Jahre danach wurde er ein Erfolg. Da lebte der Autor Werner Bräunig längst nicht mehr.

Im Zentrum des Geschehens steht Christian Kleinschmidt, ein »Studierter«, der bei der Wismut AG seinen Mann steht. Hermann Fischer verkörpert den ambitionierten, charakterfesten Vorarbeiter, den idealen und edlen »Chrampfer«, wie der Schweizer sagen würde. Alle anderen – Peter Loose, Nickel, Lewin und viele mehr – rotieren in diesem Kosmos um die beiden herum, nur Ruth Fischer, Hermanns Tochter, bekommt einen besonderen Status, wird zur Maschinenführerin befördert und soll auch in die Partei. Der Frau geschieht Gerechtigkeit.

Die wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen sind kenntnisreich, die Liebesszenen delikat dargestellt. Da fängt etwas an zwischen Kleinschmidt und Ruth Fischer.

… da war wohl etwas anderes noch, und sie hätten es fast schon benennen können. Abe wie heißt das, was uns so betrifft? Etwas, das noch so leis ist und kaum entstanden, soll man wohl nicht gleich mit Worten belegen. Es genügt, wenn man es spürt. (584)

Stark sind die Romanteile, die bei der Wismut spielen. Das kannte Werner Bräunig gut, und er kann es gut beschreiben, in der literarischen Sprache der 1960-er Jahre, der man sich damals nicht entziehen konnte, Uwe Johnson und Peter Handke schrieben so, und wie?, sagen wir nervös und expressionistisch, dabei auch karg und unterkühlt, ohne doppelten Boden und sinnlich.

Bei Bräunig wird Leben unter Tage sinnlich und faszinierend. Franz Fühmann, der von 1922 bis 1984 lebte, war ein anderer DDR-Schriftsteller, den das Bergwerksthema Jahrzehnte verfolgte. Das Bergwerk: Paracelsus tat sich da um, Novalis auch, E. T. A. Hoffmanns Die Bergwerke von Falun, Günter Eichs Exkursionen in die Unterwelt …  Es sind wie Exkursionen ins Unbewusste, in die menschliche Seele. Den Inhalt des Romans nachzuerzählen hat wenig Sinn, man kann ihn lesen und der DDR gedenken.

 

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.