Telepathie, Hellsehen, Präkognition

Da das Jahr nur Neige geht, endet auch mein Aufsatz über die paranormalen Spotanphänomene. Dieses Mal sind Telepathie, Hellsehen und Präkognition unser Thema. Es ist ein ganz schön langer Beitrag, aber spannend ist er auch, glaube ich. Nächstes Jahre fahre ich dann mit den restlichen drei Aufsätzen fort: Falsche Bewegung? – Bewusstsein und Materie; Selbst Erzeugtes – Experimente im Labor und im Feld; Hinter den Schleiern – Jenseitsforschung.

Spontanphänomene bleiben interessant. Das Freiburger Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene unterhält eine Beratungsstelle für außergewöhnliche Erfahrungen, Walter von Lucadous Parapsychologische Beratungsstelle nimmt ebenfalls in Freiburg Berichte entgegen, die amerikanische Zeitschrift Fate bietet jeden Monat Rubriken, in denen Leser ihre Erlebnisse schildern dürfen (True Mystic Experiences; My Proof of Survival), und auch die Society for Psychical Research aus London fragt Leser ihrer Internet-Seite: Können Sie uns etwas berichten? Auch »Jott’s« seien willkommen, worunter man kleine Begebenheiten versteht, »just one of these things«.  

Heute ist die Parapsychologie am ehesten in der Literatur und in Filmen präsent. Als Stichworte genügen Dan Brown (»Sakrileg«) und Joanne K. Rawlings mit ihrem Harry Potter. Im Fernsehen haben die US-Serien Ghost Whisperer und Medium seit vielen Jahren Erfolg. Die Gesellschaft ist laut und bunt, und so sind manche Spontanphänomene auf dem Rückzug, etwa die Geistererscheinungen. Telepathie ist häufiger. 

Telepathie

In dem Jahr, in dem die englische Society for Psychical Research gegründet wurde, 1882, schuf Mitbegründer Frederick William Henry Myers (1842–1900) den Begriff Telepathie, nach zwei griechischen Worten, die »Einfühlung in die Ferne« bedeuten.  

Da wird ja gern erzählt: »Ich habe an sie gedacht, und schon ruft sie mich an.« Das mag Telepathie gewesen sein, doch bei Leuten, die sich häufig sprechen, kommt das eben vor. Und wenn die Andere doch nicht anruft, vergisst man es. Ohne Zweifel stehen Blutsverwandte in enger Verbindung zueinander, und auch langjährige Partner bilden einen gemeinsamen Rhythmus aus, und man hat das Gefühl, der andere weiß genau, wann man heimgekommen ist oder wie es einem geht.  

Alle Therapeuten kennen die Übertragung (von Stimmungen) vom Patienten auf sie selbst und ihre »Gegenübertragung« zurück auf diesen, und nur dadurch, sagen viele, kann sich in einer Therapie etwas bewegen. (Das ist freilich Folge einer unmittelbaren »psychischen« Ansteckung, die dennoch auch ein Phänomen ist.)  Carl Gustav Jung hat einmal morgens einen stechenden Kopfschmerz empfunden; später sagte man ihm, einer seiner Klienten habe sich zu der Zeit erschossen.      

Eine Frau fährt in der S-Bahn, trifft eine flüchtige Bekannte, und sie steigen an derselben Haltestelle aus. Sie trennen sich, treffen sich aber vor dem nächstgelegenen Park wieder; erneut verabschieden sie sich, aber ihr Weg führt sie so durch den Park, dass sie sich an dessen Ende wieder in die Arme laufen. Also meinen sie lakonisch: »Dann in der S-Bahn.« Und sie treffen sich tatsächlich am selben Abend in derselben S-Bahn, im selben Abteil. Diese Geschichte zeigt, dass auch zwei Menschen, die sich nicht gut kennen, eine Weile lang in Verbindung stehen können.  

Robert Crookall meinte, unser unsichtbarer, beweglicher »Vitalkörper« (vor 100 Jahren hätte man »Odkörper« gesagt) finde auf einer anderen Ebene mit dem des Partners zusammen und erzeuge einen gemeinsamen Körper. Myers sprach von einer »psychischen Invasion«, Harry Price hielt Telepathie für eine Art Ansteckung.  

Die indische Vedanta lehrt »Tat twam asi«, und dieses »Das bist du« heißt, wie auch der österreichische Physiker Erwin Schrödinger betont hat, dass du alles bist; aber gleichzeitig ist alles du, alle sind du, da wir alle aus demselben Stoff gemacht sind.  

Mit solchen Überlegungen driftet man weit ins Esoterische hinüber, aber auch der US-Parapsychologe Dean Radin nannte ein neueres Buch Entangled Minds, also etwa »verschränktes Bewusstsein«. Die Psi-Phänomene stehen quer zu den üblichen Erkenntnissen der guten alten Physik Newtonscher Prägung, aber man kann sie auch bequem ignorieren. Steve Kuhn schrieb 1961, wenn sich eine große Zahl von »Anomalien« angesammelt habe, komme es zu einem Umdenken, zu einem »Paradigmenwechsel« in der Wissenschaft. So weit sind wir noch nicht.        

Die Frage aber, warum es Psi-Phänomene gibt, mag erlaubt sein. Der US-Parapsychologe Richard S. Broughton erklärte, dahinter stecke der Drang des Menschen, überleben zu wollen. Ohne Zweifel ist es wünschenswert, dass eine Mutter ahnt, wenn ihr nicht beaufsichtiges Kind auf einen Fluß zusteuert oder wenn der Indianer spürt, dass sich ein Raubtier sich in der Nähe befindet. Ein altes Relikt ist gewiss die Erfahrung, dass man spürt, wenn man (von hinten) angeschaut wird; es wurde in allen Studien zuverlässig bestätigt.

Dramatische Begebenheiten werden oft erzählt. Ein Rentner aus Schwaben saß, wie er berichtete, dösend in seinem Lehnstuhl, als er seinen Namen hörte. Es klang, als hätte sein Sohn ihn ausgerufen. Zur selben Stunde hatte dieser einen Unfall in den Bergen, den er jedoch überlebte. Wenn Menschen in Lebensgefahr sind, kommt es vor, das die nächsten Angehörigen – meist die Mutter – es spüren. Und viele Berichte gibt es, dass sich jemand gedrängt fühlte, heimzufahren oder einen alten Bekannten zu besuchen – und meist hatte dies seinen Grund; es war ein drängender Ruf eines Todkranken oder der Appell eines Menschen in Lebensgefahr. Wir können also sagen, dass Telepathie aufgrund zahlreicher Beispiele nicht zu leugnen ist.    

Hellsehen 

Hellsehen ist nicht Informationserwerb von anderen Menschen, sondern über Geschehnisse und Gegenstände. Medial begabte Menschen oder Hellseher erhalten zuweilen Eindrücke, wenn sie Objekte berühren oder auch Landkarten betrachten. Freilich ist auch da die Abgrenzung zu Telepathie und Präkognition schwierig. Der Freiburger Professor Hans Bender hat das einmal an dem Beispiel Swedenborgs erläutert, der 1759 in Göteborg den Brand der weit entfernten schwedischen Hauptstadt Stockholm »sah«: Er hätte die Eindrücke durch Telepathie erhalten können, direkt über das Geschehen durch Hellsehen oder – wenn er es kurz vorher wahrnahm – durch Präkognition (Vorherwissen). Swedenborg selber jedoch will es von seinen Engeln erfahren haben.   

Hellseher sind etwa die »Psychic detectives«, die bei Kriminalfällen in Einsatz treten. Natürlich bieten sich da stets viele an, und wenn man Glück hat, ist einer von hundert wirklich begabt. Debbie Malone zum Beispiel moderiert die australische Fernsehserie Sensing Murder, und ein Kriminalbeamter trat an sie heran im Fall des ungeklärten Mordes an Maria Scott. »Sie war brillant. Sie sagte uns, wie der Körper im Busch lag und was er anhatte.« Maloney wurde der Polizei-Einheit »Vermisste Personen« in Neusüdwales zugeteilt. In den USA gibt es einen Wettbewerb um den Titel des »Besten Sensitiven«. Im Jahr 2009 gewann ihn Michelle Whitedove, die in 29 Minuten einen Stuntman fand, den man extra für den Wettbewerb in einem 50 Quadratmeter großen Wüstengelände eingegraben hatte.  

In Stanford widmete man sich ab 1972 der Fernwahrnehmung oder dem »Remote Viewing«. Die Gruppe des Stanford Research Institute (SRI) hieß Cognitive Science Laboratory, und unter Hal Puthoff und Russell Targ, später von Edwin May kundschaftete man mit der Hilfe von einem halben Dutzend hochbegabter Medien ferne Weltgegenden aus. So entstand das Projekt STARGATE in Fort Meade, Maryland, das 20 Jahre lang von dem amerikanischen Geheimdienst CIA gefördert wurde. Joseph McMoneagle meinte, die Mitarbeiter hätten zu einem Drittel Willen mitgebacht, ein Drittel sei das Training gewesen und ein Drittel Talent.  

Auch Robert Jahn und Brenda Dunne experimentierten zehn Jahre an der Universität Princeton mit Fernwahrnehmung, die in dem Buch An den Rändern des Realen dargestellt werden. Ein »Empfänger« fing die Eindrücke auf, die ihm ein »Agent« von einem Ort zu übermitteln sucht, indem er sich genau umschaut und an den Empfänger denkt. Später stuft ein unabhängiger Richter die Ergebnisse ein. Das ausgefeilte Verfahren lässt eine statistische Behandlung zu, so dass man sagen kann, ob das Resultat über dem Zufall liegt.  

Empfänger bekamen Eindrücke von Zielen, die Tausende Kilometer entfernt waren, und sie bekamen sie auch, wenn sie am Abend vorher sich darauf konzentrierten, wo der Agent am nächsten Morgen sein würde. Psi-Phänomene sind unabhängig von Raum und Zeit. McMoneagle meinte sogar, man könne in eine Vergangenheit sehen, in der es noch keinen Beobachter gegeben habe und in eine äußerst ferne Zukunft. Das würde bedeuten, das Vergangene sei irgendwo registriert und zugänglich und die Zukunft zumindest in Umrissen vorhanden.    

Präkognition 

Die Präkognition ist ein Wissen von künftigen Ereignissen. Dass glückliche Ereignisse vorhergeahnt werden, ist außerordentlich selten.  

Der Engländer John W. Dunne schrieb seine Träume auf und meinte, es seien ganz gewöhnliche, erwartbare Träume gewesen; nur habe er sie in den falschen Nächten gehabt, also vor dem Ereignis. Seine Statistik spricht von 50 Prozent präkognitiven Träumen. Er stellte um 1927 in seinem Buch An Experiment with Time auch Spekulationen über die »serielle« Zeit an, die dazu führe, dass es auch serielle Beobachter gäbe, und jeder Beobachter einer nächsthöheren Dimension habe Einblick in Zukunft und Vergangenheit der darunter liegenden.   

Geschehnisse, die man träumt, sind nicht unbedingt festgelegt. Eine Frau schrieb Louisa Rhine, sie habe geträumt, bei einem Campinglager ihr Kind aus den Augen gelassen zu haben – und es sei dann mit dem Gesicht nach unten im Wasser gelegen. Ein Jahr später wiederholte sich im Sommer tatsächlich die Szene; die Frau erinnerte sich und passte auf ihr Kind auf. Die Zukunft ist nur in Grundzügen angelegt und veränderbar.

Eine andere Frau träumte von einem Zugunglück, in das eine blaue Lokomotive mit der Nummer 47216 verwickelt war. Sie verständigte die British Rail. Zwei Jahre später ereignete sich das Unglück so, wie sie es geträumt hatte; nur trug die Lok die Nummer 47299. Bis sich dann herausstellte, dass die Bahngesellschaft, um das Unglück abzuwenden, der Lokomotive eine neue Nummer gegeben hatte. Die alte war 47216 gewesen. Man hätte sie ausrangieren müssen.    

Überhaupt: Träume. Sie sind vermutlich das häufigste Vehikel paranormaler Erfahrungen. Bei der Amerikanerin Louisa B. Rhine waren 70 Prozent ihrer Fälle Träume, Sannwald kam auf einen Prozentsatz von 60, und nach dem Einbezug anderer Studien kann man getrost sagen, dass zwei Drittel von Psi-Phänomenen sich im Traum ereignen.  

»Dass er durch bedeutende Träume von dem, was sich ereignen sollte, unterrichtet werde«, schrieb Johann Wolfgang von Goethe von seinem Großvater. Dieser sah sich einmal im Traum zum Schöffen ernannt werden – und das geschah ebenso wie seine Ernennung zum Schultheiß, die der Großvater ganz ruhig vorhergesagt hatte und mit der keinesfalls zu rechnen war. Unter seinen Papieren fand Goethe die Notizen »Heute nacht kam N. N. zu mir … Heute nacht sah ich …«   

Die amerikanische Tänzerin Isadora Duncan (1879−1929) hatte zwei Jahre lang Angstträume, wie sie in ihrer Autobiografie My Life (1927) erzählte: Ihre beiden Kinder waren unauffindbar, liefen am Strand davon, lösten sich auf … Am 19. April 1913 ertranken beide bei einem schrecklichen Unglück mit dem Auto in der Seine.  

Der italienische Heilige Pater Pio schien zu wissen, welche italienischen Städte im zweiten Weltkrieg bombardiert werden würden.  Am 14. Mai 1981 wurde ein Attentat auf Johannes Paul II. verübt, das er knapp überlebte. Aus dem Vatikan war zu hören, dass Pio dem polnischen Kardinal vor Jahren gesagt habe, dass er einst Papst sein würde, doch er fügte hinzu, er würde bald darauf »blutend zu Boden sinken«.   

Die »zeitüberbrückende Wahrnehmbarkeit«, wie sie Carl Friedrich von Weizsäcker nannte, führt uns hinein in Philosophie und Physik. Von Weizsäcker wollte Präkognition in seinem Buch Aufbau der Physik nicht ausschließen und schrieb, eine Theorie dazu werde so revolutionär sein, wie es die Quantentheorie in der Physik gewesen sei. Nach dieser Theorie wird seit fast 120 Jahren verzweifelt gesucht.

 

 

 

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