Rückbau
Fotos aus Zürich und Umgebung. Sieht alles wie ein kosmischer Witz aus, und am Jahreswechsel, als wir auf dem Zürichsee herumkreuzten und die Panta Rhei wie ein Geisterschiff vorüberglitt und das Feuerwerk vor dem Bürkliplatz inkognito blieb hinter einem Rauchvorhang, hielten wir das auch für ein ironisches Phänomen, und hätte jemand damals (ja, damals) gesagt: Am nächsten ersten April, einem Mittwoch, sind Flughafen Zürich, HB Zürich und Bahnhofstraße menschenleer, und das dauert Wochen an, dann hätten wir gedacht, was hat denn der für ’ne Droge genommen?
Ein paar Monate vorher hatte ich einer Kollegin die Erzählung Die Rückeroberung von Franz Hohler ans Herz gelegt. Der Erzähler sieht ein Adlerpaar auf dem Haus gegenüber. Dann zeigen sich Rehe in der Stadt, die von nachfolgenden Bären verfolgt und erlegt und gefressen werden, und die Pflanzen wachsen unmäßig und dringen immer weiter vor, der erste Bär wird gesichtet, Kinder gehen unter Geleitschutz in die Schule, das öffentliche Leben erstirbt, und am Ende fragt sich der Erzähler, wie lange er noch ausharren wird, wie lange es Sinn hat, zu bleiben.
Auch viele Science-Fiction-Geschichten spielen in einer entleerten Welt, die von Außerirdischen angegriffen oder durch einen Atomkrieg verwüstet worden war, und so spielte der Mensch schon immer mit dem Motiv des Planeten, der von seinen Bewohnern entleert wurde — weil die Helden da besser zur Geltung kommen. Wenn es dem Menschen zu gut geht, denkt er sich schwarze Geschichten aus, und im Elend gedeihen die Märchen.
Friedrich Dürrenmatt (1921-1989), kompromissloser unschweizerischer Denker, schrieb in Der Rebell:
… ich musste in einem Café, in das ich zufällig geriet, zufällig einen verkrachten Literaten kennenlernen und, sei es im Studentenheim oder in einem Lokal des Frauenvereins, vielleicht beim Salatessen, von einem Virus infiziert werden, die, wie einige Wissenschaftler behaupteten, durch den Urin von Ratten eingeschleppt wurden, um durch diese zwei Fakten, die in keiner Verbindung zueinander standen, mit Kassners »Zahl und Gesicht« in Berührung zu kommen, was durch Fieberphantasien ein phantastisches Gedankengebäude erzeugte. Eine Verschmelzung verschiedener Zufälle, die zehn Tage nach dem Rückgang des Fiebers einen unbewältigten Stoff zurückließ, den ich vorerst in mir abkapselte.
Alles hat sein Gutes. Der Friseur sagt ihm, er habe die Gelbsucht. Dürrenmatt muss von Zürich weg und nach Bern zurück.
Im Zug saß ich im letzten Wagen auf einer einzelnen Bank, vor mir die Scheiben der hintersten Tür … Ich sah Zürich entschwinden, gleichsam in einer perspektivisch, von Schienen gebildeten Landschaft …
Fotos von Giovanna (5) und Chiara Braghetti (1)