Sie sahen die „Titanic“ sinken
Sie sahen die »Titanic« sinken, ja, und zwar schon Tage früher. Ian Stevenson hat 1960 einen Artikel vorgelegt, der die präkognitiven Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Untergang der Titanic zusammenfasst (prä heißt vorher, kognitiv betrifft das Wissen). Den Artikel fasse ich hier etwas zusammen, weil er lang ist. Ich hatte ihn 2011 für das geplante Buch »Parapsychologie« übersetzt, das dann vom Verlag gestrichen wurde. (Was ich nicht vorausgesehen hatte.)
Ian Stevenson (1918-2007) war ein Parapsychologe der alten Schule, und irgendwann bekam er vom Erfinder des Fotokopierers, Chester Carlson, eine Million Dollar, um Reinkarnationsforschung zu betreiben. Selten wurde Geld besser angelegt, sage ich. Die 50 Jahre währende Forschung Stevensons wird bei Wikipedia mit zwei Sätzen abgehandelt und mit einem skeptischen Gegenschlag relativiert; während der Artikel über die Entwicklung des Kopiergeräts hundert Mal länger ist. Wikipedia (das heißt: die materiell orientierte Welt dort draußen) will vom Paranormalen nichts wissen. Aber es gibt zum Glück immer mal wieder einen vernünftigen Geschäftsmann, der sich als Mäzen betätigt und »verrückte« Forschung fördert.
Der Artikel nennt zwölf Beispiele und versäumt nicht, zunächst auf die Arbeit von Cox hinzuweisen, der um 1961 fand, dass in den Zügen, die später verunglückt waren, weniger Leute gesessen hatten als an den anderen Tagen. Sein Schluss: Manch einer ahnte, dass was passieren würde. Die Beispiele beginnen mit dem Roman Futility, den Morgan Robertson 1898 veröffentlichte (14 Jahre vor der Katastrophe) und in dessen Verlauf das vermeintlich unsinkbare Schiff Titan untergeht, deren Maße denen der Titanic ziemlich ähnlich sind.
Mr. J. Connon Middleton, ein englischer Geschäftsmann, buchte am 23. März eine Passage auf der Titanic, und zehn Tage vor dem Abreisedatum träumte er, »dass ich sie sah (die Titanic), wie sie auf dem Wasser trieb, kieloben, und um sie herum schwammen ihre Passagiere und die Crew«. Die Nacht darauf hatte er denselben Traum. Er verzichtete auf die Reise. Eine Frau in New York erwachte in der Nacht auf den 15. April (in der Nacht des Untergangs) aus einem lebhaften Traum. Sie hatte ihre Mutter in einem überfüllten Rettungsboot gesehen, das in der Dünung des Ozeans trieb. Das Boot war voller Menschen. Ihre Mutter überlebte den Untergang und erreichte New York, und als ihre Tochter von ihr träumte, befand sie sich tatsächlich auf dem Rettungsboot.
Am 10. April saßen Mr. und Mrs. Jack Marshall mit ihrer Familie auf dem Dach ihres Hauses, das eine Aussicht über den Solent gegenüber der Isle of Wight gestattet. Als sie die Titanic auf ihrer Jungfernfahrt vorbeifahren sahen, klammerte sich Mrs. Marshall an den Arm ihres Ehemanns und rief aus: »Dieses Schiff wird sinken, bevor es Amerika erreicht haben wird.« In der Nacht von dem 14. auf den 15. April hatte Mrs. Charles Francis Potter einen lebhaften Traum: »Ich sah eine hohe Struktur, etwas wie eine höhergelegte Eisenbahn. Da hingen Menschen an der Außenseite, als ob sie sich mit den Händen an der Oberkante eines Schutzzauns festhalten würden. Viele von ihnen waren wie für die Nachtruhe gekleidet, und sie verloren nach und nach den Halt und rutschten auf den geneigten Seitenflächen nach unten. Ich hatte den Eindruck, als würden sie in ihren sicheren Tod stürzen.«
Am Abend des 14. April brütete Reverend Charles Morgan, der Geistliche der Rosedale-Methodistenkirche in Winnipeg (Kanada), über einer Liste mit den Hymnen, die zum Abendgottesdienst in seiner Kirche gesungen werden sollten. Dann legte er sich eine Weile auf das Sofa und glitt in einen tranceartigen Zustand, in dem er vor seinem geistigen Auge die Nummer einer ihm unbekannten Hymne schweben sah. Das Lied lautete Hör, o Vater, dass wir dich bitten sehr / für jene in Gefahr auf dem Meer, und als die Gemeinde die Hymne sang, sangen sie auch die Passagiere im Speisesaal der Zweiten Klasse auf der Titanic.
Wenige Stunden vor der Kollision mit dem Eisberg äußerte einer der Erste-Klasse-Passagiere, der Präsident der Grand Trunk Railroad Charles M. Hays, dass bald die Zeit kommen würde »für das größte und erschreckendste Unglück auf See«.
Ein Medium (Count Harmon), das der Journalist William T. Stead von Zeit zu Zeit konsultierte, sagte diesem 1911, dass ihm Gefahr für sein Leben »vom Wasser und von nichts Anderem« drohe. Am 21. Juni 1911 riet das Medium Stead in einem Brief, dass das Reisen für ihn im Monat April des Jahres 1912 gefährlich sei. Ein anderes Medium, W. de Kerlor, träumte, »dass ich mitten in einer Schiffskatastrophe war; eine Menge Menschen (mehr als tausend) kämpfte im Wasser ums Überleben, und ich war einer von ihr. Ich konnte ihre Hilfeschreie hören«. Mr. de Kerlor erzählte diesen Traum Mr. Stead und wiederholte auch seine Warnung, dass das schwarze Schiff (der vorherigen Eindrücke) »Beschränkungen, Schwierigkeiten und den Tod« bedeute. Stead schlug die Warnung in den Wind und kam um.
Am Montag, 15. April um 23.30 Uhr kam Mrs. C. L. Tweedale alarmiert (zu ihrem Mann) gelaufen und sagte, dass ein Mann mit dicken Augenbrauen, Bart unter seinem Kinn und rundem Gesicht durch die Küche gegangen sei, in der sie sich aufhielt. Er hatte einen grauen oder gestreiften Tweed-Anzug an mit einem knappen Mantel darüber. Kurz danach, als sie noch in der Küche war, habe sie flehende, weinende Laute gehört und eine Art Stöhnen. Es habe geklungen, als ob viele Menschen in großer Not seien … Die Frau wusste vom Untergang der Titanic nichts. Als man Mrs. Tweedale ein Porträt von W. T. Stead zeigte, sagte sie, dass die Erscheinung, die sie gesehen hatte, eine starke Ähnlichkeit mit ihm aufgewiesen habe.
Von Stead hören wir bald mehr. Er kam zurück.