Hingabe

Hingabe heißt im Arabischen islam. Der Gläubige unterwirft sich. Nonnen vermählen sich Christus, Kirchenmänner weihen sich Gott, der Geliebte gibt sich der Geliebten hin. Erst wer sich seines Ichs entledigt und sich demütigt, kann Liebender sein. Westliche Liebesgeschichten sind nur ein Abklatsch davon, so sehr sie auch von den Medien in einen religiösen Umkreis gerückt werden. 

DSCN4492Meist wirbt der Mann um die Frau, die zustimmt oder ablehnt, und die sozialen Regeln sehen allmähliche Annäherung vor und auch eine erste Unterwerfung des Werbenden: Er gibt ihr zu verstehen, dass sie seine Göttin ist und die Allerschönste. Wer würde sich da nicht geschmeichelt fühlen? (Und je schöner und imposanter der Bewerber, desto größer das Gefühl.) Doch verharrt der Werbende in der Demutshaltung, könnte er bald scheitern, denn nun taucht der naheliegende Gedanke an eine feste Beziehung auf, hinter dem der bürgerliche Gedanke des Besitzenwollens steckt.

Die Frau will einen adäquaten Partner, den man vorzeigen kann, und nicht einen Schoßhund. Sie wird die seine und unterwirft sich ihrerseits. Die beiden Egos ringen miteinander und erreichen nicht selten Einverständnis und gehen Kompromisse ein. Doch Liebe zwischen Mann und Frau ist immer der Konflikt zwischen zwei unterschiedlichen Wesen, die sich von ihrem Ich nicht trennen wollen. Eher soll der andere sie veredeln und sie an ihm wachsen lassen, nachdem die Schlacht geschlagen und ein Waffenstillstand geschlossen ist.

Im Glauben ist das anders. Man gibt alles her, und dazu braucht es Mut und Gottvertrauen. In einem Lied heißt es:

DSCN4588Ich bete an die Macht der Liebe,
die sich in … offenbart;
Ich geb mich hin dem freien Triebe,
wodurch ich Wurm geliebet ward,
Ich will, anstatt an mich zu denken,
ins Meer der Liebe ich versenken.

Das ist natürlich ein protestantisches Lied, und in der zweiten Zeile ist Jesu einzusetzen, doch ein anderer Name tut es auch.

Für die Sufis, die Vertreter eines mystischen Islam, ist die Liebe zwischen Mann und Frau

ein Spiegelbild der Liebe zwischen der Seele und Gott, und so wie ein Liebender von seiner Geliebten träumt und sie preist und danach dürstet, ihr Gesicht zu sehen, so träumen die Sufis ewiglich von ihrem Gott und reflektieren seine Eigensschaften und verzehren sich danach, Ihn bei sich zu wissen. Die Geschichte des Mystizismus enthält viele leidenschaftliche, an das Absolute gerichtete Liebeslieder, aber die Poesie der Sufis ist besonders reich, tief und bunt, was so viele von uns fasziniert und bezaubert.

Teresa_von_Avila-VerzueckungDas schrieb Florence Lederer im Vorwort zu ihrer Übersetzung des geheimen Rosengarten des Persers Sa’d ud Din Mahmud Shabistari (geboren 1250), und auch der Tarjuman Al-Ashwaq von Ibn Arabi (1165-1240) ist ein verschlüsseltes Liebesgedicht, das sich an den Schöpfer richtet. Auch mit diesem »Liebesobjekt«wird die Vereinigung angestrebt, die eine unio mystica sein kann, eine erfüllende Ekstase, und die indischen Tantriker haben eine noch höhere Vereinigung im Sinn: Die Liebe zwischen Mann und Frau richtet sich an den Schöpfer, wird zu Energie und verwandelt beide Partner. Liebe ist Liebe und eigentlich einfach; wer sagt, Liebe sei schwierig, meint die Liebe zwischen zwei Egos, die keine echte Liebe ist. Echte Liebe braucht keinen Vertrag und keine Auseinandersetzungen. Echte Liebe ist bedingungslos.

Zwischendurch hatte ich plötzlich einen Einfall: Vielleicht war der Ausdruck im Eheversprechen bis dass der Tod euch scheidet im übertragenen Sinn gemeint? Etwa so: Bis dass der Tod eurer Liebe euch scheidet (weil die Liebe plötzlich weg ist) oder ein Tod in dem Sinn, du bist nicht mehr der, als der ich dich zu lieben lernte. Man sagt ja auch: Du bist für mich gestorben.

 

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