Sechs Farben: rot

Der Film Drei Farben: Rot von 1996 war der letzte des polnischen Regisseurs Krzysztof Kieślowski. An den Film erinnere ich mich noch gut. Der alte Jean-Louis Trintignant, der soeben in Liebe von Michael Haneke großartig gespielt hat, agierte an der Seite von Irène Jacob. Ging es um Brüderlichkeit? Rot steht ja für die Liebe, aber ich weiß nicht mehr, was in dem Film rot war.    

Aber an den Anfang erinnere ich mich: Es tutet und knackt, und dann verfolgt die Kamera ein Gespräch vom Hörer bis durch ein Kabel unter dem Atlantik hindurch, das ist ein kurioser Beginn. Rot steht für Leidenschaft (heute gern in der Autowerbung), Herz, die SPD, die Sparkasse. In dem berühmten Roman Le Rouge et le Noir von Stendhal steht das Rot (rouge) für das Wams des Soldaten, während Schwarz (noir) den Talar des Priesters verkörpert. Der Soldat soll ja töten, und Blut soll fließen.

Ich habe noch einige Stellen gefunden, die Rot in Verbindung mit der Natur bringen, und darauf will ich mich konzentrieren. Auch fand ich ein Zitat bei Hans-Peter Duerr, in seinem Traumzeit-Buch, das uns sagen will, die Farben nicht nur als Schwingung zu sehen. Bei einer Farbe schwingt mehr mit, man könnte ein musikalisches Motiv  dazu hören oder ein Tier sehen. Ein Geisteskranker: »Wenn ich ›rot‹ sage, so ist das ein Begriff, der in Farben, Musik, Gefühl, Sinnen und Natur ausgedrückt werden kann. Der Mensch hat also nicht fünf Sinne, sondern einen Sinn.«   

 

Aus dem Buch von Evans-Wentz über den Feenglauben in keltischen Ländern (The Fairy faith in Celtic Countries, 1911): »Die guten Leute von Boyne sind kleine Männer, die normalerweise rot gekleidet sind.« Die guten Leute − »the good people« − sind die Verstorbenen, die kleinen fairies, und »wenn sie verschwinden, dann verschwinden sie wie Nebel.« Sonst haben die Feen grüne Wämse.  

Noch interessanter finde ich das Buch der roten Hyazinthe von dem 1870 gestorbenen Scheich Mohammad Karîm-Khân Kermânî über den Glauben der Schiiten im Iran. Unterhalb der Seelenwelt ist die Welt der Natur, und ihr ist das Rot zugeordnet. Der Schöpfer erschafft eine rote Hyazinthe und blickt sie liebend an, und unter seinem Blick wird sie zu Wasser, und aus dem Schaum dieses Wassers entsteht die Welt, aus dem Dampf der Himmel. In der Hyazinthe seien alle vier Arten verborgen: Erde, Wasser, Luft, Feuer (sie selbst). 

Der Scheich führt aber danach noch ein Inventar für die Farbe rot an und meint (alles nach Henry Corbin, Réalisme et symbolisme des couleurs en cosmologie Shî’ite in dem Buch Temple et contemplation, man könne sie freilich auch mit Gewalt, den Zorn, den Mord, wilden Tieren, dem Planeten Mars, der Sonne, der politischen Macht, den Türken« in Verbindung bringen.  (Bild: Teufel von hinten. Ein Werk von Franzisaka Himmelsbach.)

Und dann stieß ich in einem Buch über die Traumzeit auf eine Stelle, in der es heißt, der rote Ocker sei die heiligste Farbe in allen Ritualen der Aborigines: »Sie stellt das verwandelte Blut eines Ahnenwesens dar. In bestimmten Teilen Zentralaustraliens wird es mit dem Blut assoziiert, das der Hund Marindi vergoß, der im Kampf gegen einen Gecko starb.« (nach: Robert Craan, Geheimnisvolle Kultur der Traumzeit)

Roter Ocker in Apulien

Wichtiger nach einem Todesfall ist das zweite Bestattungsritual nach einem halben Jahr oder später. Dann erhält der Tote seine wirklich letzte Ruhestätte. Die Männer bemalen ihren Körper mit rotem Ocker und entfachen am Grab ein offenes Feuer. Die Überreste werden herausgeholt, die Knochen rot bemalt, gespalten und in einen bis vier Meter langen hohlen Baumstamm gelegt. Dazu wird mehrere Tage lang gesungen und getanzt, bis die Birrimbirr-Seele des Toten endgültig ihre geistige Heimat erreicht hat. Die passende Musik dazu wäre: Red von King Crimson von der gleichnamigen LP.  

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Dazu noch ein Nachklapp: Da sagt mir heute mein Zahnarzt, blau sei männlich und rot weiblich! Wieso denn das? Nun, das Blau steht für Wasser, das Empfangende, rot ist das Feuer, das männliche Element. Warum da männliche Säuglinge in Hellblau und weiblich in Rosa gekleidet würden? Ich meinte, blau wirke eher kalt, rot heiß, Frauen lieben, Männer handeln kaltblütig. Stimmt alles nicht, man wird verrückt mit diesen Gedanken spielen. Wir wissen eins: manipogo ist rot.   

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