Die Helfer (6): Großeltern an Deck

Unsere Mini-Serie endet mit noch ein paar Geschichten aus Island, die 1975 Erlendur Haraldsson erzählt wurden. Der Geisterglaube auf Island war immer stark, und wer glaubt, dem wird oft geholfen. Seeleute sind Wind und Wetter ausgeliefert und daher oft abergläubisch, aber auch gläubig, was kein Widerspruch sein muss. In unseren sechs folgenden Geschichten sind die Retter eine böse Frau, eine Großmutter, zwei Großväter, ein Vater und ein Bruder. Sicher passen verstorbene Angehörige auf uns auf und sind gewissermaßen unsere Engel.

Ein Seemann erinnerte sich an eine alte, sonderbare Frau, Kolfinna, die in seiner Jugend in seinem alten Haus lebte. Sein Bruder und er hatten Angst vor ihr und liefen davon, wenn sie sich näherte. Einmal diente er auf dem isländischen Trawler Tryggvi gamli, der mit einer Ladung Fisch Richtung England dampfte. Schlimmes Wetter, nördlich der Orkney-Inseln müssen sie beidrehen und gegen den Wind, und der Erzähler bekam den Auftrag, einen Eimer mit Asche zu entleeren.

Dann schaute ich aufs Deck zurück und sah die alte Frau, die auf mich zurannte und rief »Jetzt kriege ich dich!«. Instinktiv ließ ich den Eimer fallen und lief zur Steuerbordseite, ins Deckhaus, wo sich der Skipper, der Maat und ein Deckshelfer aufhielten. Im selben Augenblick brach eine gigantische Welle über das Schiff herein. Der Trawler wurde in die See getaucht, das Deckhaus füllte sich mit Wasser, da ein Fenster zerbrach, und alle wurden herausgewaschen. Wenn ich auf dem Deck geblieben wäre, könnte ich heute nicht davon erzählen. Dass ich die alte Frau sah, vor ihr erschrak und davonlief, wie wir es als Kinder getan hatten – das rettete mir offenbar mein Leben.

Ein 70-jähriger Mann aus Isafjord erzählte, seine Großmutter habe ihn gleich mehrere Male gerettet.

Sie hieß Johanna, und sie war die Mutter meines Vaters. Ich hatte ein Motorboot, das ihren Namen trug. Wir waren auf dem Rückweg und hatten in einem anderen Hafen Köder geladen. Das Boot war schwer. Ein Mann war bei mir; er schlief unter Deck. Ich war sehr schläfrig und nickte am Steuerrad immer wieder ein. Plötzlich wachte ich auf und sah sie vor meinen Augen, so wie sie immer gekleidet war, als sie noch lebte. Ich schaute sie an und drehte das Rad, um von der Küste wegzukommen. Ich schaffte es knapp. Ihr Auftauchen rettete mich dieses Mal, und es war nicht das einzige Mal. Ich sah ihre ganze Gestalt, ihr klares Gesicht und das Tuch, das sie auf dem Kopf trug.

Ein  ebenfalls 70-jähriger früherer Seemann schlief in der engen Kabine eines Fischerbootes, das Stykkisholm hinter sich gelassen hatte. Es regnete und war stürmisch in der Bucht. Sie hatten die Netze ausgelegt und sollten gegen sechs Uhr geweckt werden. Um fünf Uhr schon befahl eine Stimme: »Steht auf!« Der Mann im Deckhaus hatte die Anordnung nicht gegeben. Es sei noch nicht Zeit. Der Fischer legt sich wieder hin, und von neuem die laute Stimme: »Steht auf, wollt ihr nicht aus dem Bett steigen?«

Es klang wie von der Kabinentür zwei Meter entfernt. Alle wachten auf und sprangen aus den Kojen. Das überraschte mich; die Mannschaft war sonst nicht so flink. Ich sagte dem Maschinisten, er solle den Motor einschalten, um die Netze einzuholen. Im Maschinenraum sah dieser, dass der Motor brannte. Er konnte gerade noch die Elektrizität abschalten. Ich bin überzeugt, dass, wenn wir noch etwas gewartet hätten, es eine tödliche Explosion im Maschinenraum gegeben hätte. Ich erkannte die Stimme nicht. Sie rief, wie ein Seemann rufen würde. Ich habe Grund zu der Annahme, dass es mein verstorbener Großvater war.

Ein Seemann beschrieb, er habe öfter seinen verstorbenen Vater hinter dem Deckhaus seines Bootes stehen sehen. Er hatte sich daran gewöhnt, es regte ihn gar nicht mehr auf. Der Mann fuhr auf einem 15 Tonnen schweren Fischerboot, und sie drifteten im Fjord. Da wurde er in seiner Koje unter Deck gerufen, zwei Mal, und als er nicht reagierte, noch ein drittes Mal (wieder drei Mal!), und er wurde sogar aus seiner Koje auf den Boden geworfen.

Ich ging hoch auf Deck, dachte aber, dass ich mir diesen Quatsch eingebildet hätte. Da sah ich, dass das Boot schon fast die Küste erreicht hatte. Ich konnte es gerade noch wegdrehen, eine Minute später wäre zu spät gewesen. Der Mann auf Wache schlief auf dem Boden des Deckhauses. Ich erkannte, dass die Stimme, die mich gerufen hatte, die meines Vaters gewesen war. Ich bin überzeugt, dass er es war, der uns rettete.

Ein Seemann aus Siglufjord fischte als Teenager alleine in einem kleinen Boot. Plötzlich sagte ihm eine Stimme, er solle an Land rudern.

Ich hörte es ganz deutlich. Es wurde in einem kommandierenden Ton zu mir gesagt. Ich tat, wie mir befohlen wurde. Ich weiß nicht warum, aber sehr komisch fand ich das schon. Gerade als ich den Hafen erreichte, fegte ein gewalttätiger Sturm über uns. Ich konnte nur mit Mühe andocken. Ich erkannte die Stimme nicht, brachte sie aber mit meinem Bruder in Verbindung, der vor kurzem ertrunken war.

An anderer Stelle in dem Buch wird eine weitere Rettung erwähnt, die ungewohnt tatkräftig vor sich ging. Der Zeuge berichtete:

Ich war auf einem sinkenden Schiff, der »Sula« aus Akureyri, und wir befanden uns vor der Küste von Gardskagi. Das Steuerhaus war angefüllt mit Wasser, und ich war praktisch bewusstlos, vermutlich getroffen von einem Brett. Ich wusste, dass sich alle durch das Fenster hinauf aufs Dach des Steuerhauses geflüchtet hatten. Dann war mir, als packe mich jemand an den Schultern, und plötzlich, bevor ich es begriff, war ich auch oben auf dem Dach … Später sagte mir ein Medium, obzwar nicht bei einer Séance, dass mein Großvater geäußert habe, er passe oft auf mich auf. Und bezüglich dieser Episode sagte sie, habe mein Großvater gesagt: »Ja, ich hab dich da rausgeholt, mein Junge.«

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.