Rut

Das Buch Rut ist kurz und schön wie ein Märchen. Da stört wirklich nichts. Keine bösen Menschen treten auf, die richtigen finden zueinander, und Rut — das ist wichtig — wird zur Großmutter des späteren Königs David. Die arme Rut kommt als Fremde; sie wird aber aufgenommen und geachtet. Auch Einzelheiten über damalige Bräuche im Nahen Osten machen das kleine Buch interessant.    

Das Land Moab lag östlich des Toten Meers und nahm oft ausgestoßene Israeliten auf. Die Beziehung zu Israel war kompliziert. Während einer Hungersnot wanderte Elimelech von Bethlehem in Judäa mit seiner Familie nach Moab aus und erhielt dort Asyl. Seine beiden Söhne heirateten zwei einheimische Frauen, Orpa und Rut. Elimelech starb als erster, und später starben kurz nacheinander die beiden Söhne. Nun waren die beiden Moabiterinnen nach zehn Jahren Ehe Witwen und gewiss erst 25 Jahre alt. Noëmi, die Mutter, sah keinen Sinn mehr, in Moab zu bleiben und riet ihren Schwiegertöchtern, doch ins Haus ihrer Eltern zurückzukehren. Wenigstens wären sie da versorgt. Rut aber lässt sich nicht wegschicken:

Denn wo du hingehst, da gehe auch ich hin, und wo du weilst, da weile auch ich; dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe auch ich … Nur der Tod wird mich von dir trennen!

Bis zum Tod mit der Schwiegermutter vereint … für viele heute wäre das ein Alptraum; die Schwiegermutter hat ja ein schlechtes Image. Noëmi war jedoch sicher eine nette Frau, und die Rückkehr zu den Eltern mit der folgenden Isolation musste Rut sehr bedrücken. So zogen beide nach Bethlehem. Dort gab es einen wohlhabenden Verwandten von Elimelech, Boas. Rut geht aufs Feld zur Gerstenernte, und es ist zufällig Boas‘ Feld. Der Mann wird auf sie aufmerksam und erfährt, dieses »Moabitermädchen« sei Rut. Er weist seine Leute an, sie gewähren zu lassen und lässt ihr eine extra Ernte zukommen.

Ruts Schwiegermutter frohlockt, als sie davon erfährt. Boas gehöre zu den »Lösern«, verrät sie. War ein Mann gestorben, heiratete oft ihr Bruder die Witwe oder ein nächster Verwandter, und das nächste Kind galt dann noch als Nachkomme ihres verstorbenen Mannes. So war dafür gesorgt, dass keine Witwe verhungern musste. Noëmi sagt: »Mach dich schön, und am Ende des Fests, das geplant ist, legst du dich zu den Füßen des Mannes, wo immer er schläft.« Auch ein interessanter Brauch: Die Frau darf ihren Willen zeigen, gibt sich aber nicht hin; stattdessen unterwirft sie sich. Boas fragt, wer sie sei. Rut antwortet: »Ich bin Rut, deine Magd! Spanne den Saum deines Gewandes über mich aus, denn Löser bist du!«

Boas fühlt sich gechmeichelt und preist ihre Schönheit, und er verspricht auch, sie zu lösen; allerdings sei da einer, der das erste Recht dazu habe. Diesen Mann passte Boas bald am Stadttor ab und erzählte ihm die Geschichte. Der erste Löser sagt, er wolle zurücktreten. Er war erbberechtigt, und hätte er ein Kind mit Rut gezeugt, hätte er sich selbst geschadet. »Vollzieh den Kauf!« rief der Mann Boas zu, zog seinen Schuh aus und gab ihn ihm. Dieser Brauch habe vormals in Israel als Bekräftigung bestanden.

Der Kommentar in der Bibel lautet:

Die Übergabe des Schuhs galt als Besiegelung des Rechtsgeschäftes. Zur Zeit der Letztfassung des Buchs scheint der Brauch nicht mehr üblich gewesen zu sein, sonst hätte er keiner Erklärung bedurft. 

Und das Buch endet harmonisch. Die nunmehrige Ex-Schwiegermutter wird sich um das Kind kümmern.

So nahm denn Boas Rut, und sie ward seine Frau. Er wohnte ihr bei, und der Herr verlieh ihr Fruchtbarkeit, und sie gebar einen Sohn. … Da nahm Noëmi das Kind, legte es an ihren Busen und wurde seine Wärterin. Die Nachbarinnen … nannten seinen Namen Obed. Dieser ward der Vater des Isai, der Davids Vater war.   

 

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