Amanda

Ein Frauenname mit A: Damit fängt das Neue Jahr passend an. Über Amanda, die Herzlose, muss man einfach schreiben, weil man diese Frau nicht loswird. Einfach toll. wie sie ihre drei Männer (einen nach dem andern) im Griff hat! Sie tut die Dinge und denkt nicht viel darüber nach, und kommt Kritik, sagt sie: Ich bin mein Maß. Die Männer, verliebt, planen Vorstöße, nehmen Rückschläge hin, und immerzu grübeln sie und denken sie nach.

So begeistert bin ich von dem Buch, dass ich seinen Titel zu erwähnen vergaß. Amanda herzlos von Jurek Becker, 1994. Amanda selbst tritt gar nicht auf; ihre drei Partner schreiben über sie und das Leben mit ihr. Bei Amanda stimmt alles. Sie ist fraulich, kapriziös, irrational, logisch, rechthaberisch, zickig, sarkastisch, gemein, anschmiegsam: aber immer mit Stil. Frauen sind anders als Männer, zum Glück. Wie anders? Vielleicht folgen sie eher Eingebungen oder dem Gefühl oder tun irgendwas, um zu schockieren. Das ist der Plan des Ungeplanten.

Ihre drei Männer begreifen sie nicht, weil sie zu eingefahren denken und überhaupt zu viel denken. Bei ihnen wird immer kalkuliert und geplant, taktiert un2020-12-15-0001d analysiert. Wer sich verliebt (und Amanda ist attraktiv, ein lohnendes Ziel, eine Jagdtrophäe), stellt gleich einen Eroberungsplan auf und zieht seine Truppen zusammen. Die Reaktionen der potenziellen Beute werden untersucht, alles wird untersucht und zu langen Sätzen verfertigt, bis sogar das Letzte, was bislang klar schien, noch unklar geworden ist. Amanda jedoch fegt alle Spekulationen beiseite, manchmal mit einem Satz, knallhart und wirkungsvoll. (Der Bär in Kleists Marionettentheater. Muss ich morgen vorstellen. Amanda ist das Naturkind, ihre Männer die dekadenten Möchtegern-Beherrscher der Natur. )

Ich frage mich, wie Amanda aussehen könnte? Kurze Haare müsste sie haben, etwas Keckes im Blick, etwas Kokettes in den Bewegungen. Rollkragenpulli und hautenge Jeans. Sie, Amanda, die Gejagte und Verehrte, wird von ihren Männern beobachtet, als hinge alles von ihr ab. Was sie tut, ist wichtig für jene. Was bedeutet es? Für jetzt, für die Zukunft? Amanda als kostbarer Beutevogel, die Männer deuten ihren Flug, aber einsperren lässt sie sich nicht. Für Amanda selbst bedeutet alles vielleicht nichts, vielleicht nur ein Spiel. Es kann manchmal schön sein, beobachtet (und geliebt) zu werden, aber es kann einem auch zuviel werden, vor allem wenn die Anbeter öde sind.

DSCN0708Drei Jahre war Amanda mit dem Sportjournalisten Ludwig Weniger zusammen, dann acht Jahre mit dem Schriftsteller Fritz Hetmann, um am Ende den Radiokorrespondenten Stanislaus Doll aus dem Westen zu beglücken. Das Buch spielt in Ost-Berlin. Doll ärgert sich, dass Amanda so lang bei ihrem Ex Fritz bleibt. Hinterher erzählt sie ihm arglos, sie seien nebeneinander gelegen, alte Liebe roste nicht (Sex mit dem Ex), und man merkt, dass Stanislaus, dem Radiomann, da sprachlos ist. Amanda nimmt sich auch der journalistischen Arbeiten ihrer Männer an und verbessert sie kurzerhand, politische Zuspitzungen inbegriffen. Die Freunde ihrer Männer findet sie doof, lieber sitzt sie stundenlang mit ihrer liebsten Freundin zusammen. (Oben: ein Ausschnitt aus einem Bild von Friedensreich Hundertwasser, verändert; rechts: ein Bild von Mirò, aus dem Jenseits einer italienischen Künstlerin übermittelt)

spacetrekLudwig Weniger schreibt 100 Seiten an seinen Scheidungsanwalt, um seine Ehe zu erläutern, und demaskiert sich dabei als Anpasser, linientreuer Karrierist und Spießbürger. Ludwig hält sich für einen Frauenhelden, genauso wie Fritz und Stanislaus. Alle drei meinen sie, jede Frau, die einen Abend mit ihnen verbringe, muss hin und weg sein. Sie haben Affären. Und Amanda? Sie kriegt die Affären allesamt mit und sagt nichts, vermutlich kommt’s ihr kindisch vor, und überhaupt scheint es ihr egal zu sein. Hetmann und Doll schreiben über Amanda in ihrem Tagebuch. Nur wenn sie (in den Zeilen) auftritt, wird der Roman würzig; ihre drei Traummänner können einen mit ihren öden Verlautbarungen ganz schön betäuben. Jurek Becker (1937-1997) gab selber zu, es tauchten in seinem Roman »viele Figuren auf, die er nicht leiden« könne. Aber verstehen möchte man sie trotzdem; und deshalb kriecht man in ihre Haut.

Das Buch spielt Ende der 1980-er Jahre. Doll und Amanda schaffen es Anfang Januar 1989 nach Hamburg: in dem Jahr, das die DDR nur pro forma überleben wird, um bald danach abgewickelt zu werden. Sogar geheiratet haben sie vorher noch (später kam die politische Ehe: West und Ost, das heißt: West war Mann, Ost war Frau und hatte nichts zu sagen), bevor man sie rausließ. Vermutlich bedeutete das Amanda auch nichts. Kaum vorzustellen, dass die zwei in der Gegenwart noch verheiratet wären. Damals waren sie beide 35, heute wären sie 65. Fast kriegt man Lust, das Leben Amandas im Westen weiterzuschreiben, denn Jurek Becker hatte ja nicht mehr viel Zeit dazu.

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