Ich und Du

Ein grundlegendes Buch ist Ich und Du von Martin Buber (1878-1965). Nicht lang ist es (nur 120 Seiten), doch es steckt voller tiefer Gedanken. Mit solch einem Buch als Begleiter könnte man gut vier Wochen am Meer verbringen, und möge es uns bald wieder vergönnt sein.

Schon 1923 erschien es, vor fast 100 Jahren also, und sechs Jahre später kam Sein und Zeit von Martin Heidegger auf uns und hatte riesige Resonanz, auch in Frankreich. Das war die Essenz gründlichen deutschen Denkens, erinnerte an Hegel und Nietzsche, und so wollte man das. Tragisch und schicksalhaft klang es, ein Präludium der folgenden Katastrophe, und es wurde viel geraunt und gewest, und da hieß es, bei Heidegger, wir seien in die Existenz geworfen, und über allem das Seyn. Was Heidegger schrieb, strickten nach dem Krieg Sartre und Camus weiter.

Bubers Buch hat weniger als Sein und Zeit den Anspruch, unser ganzes Dasein erklären zu wollen. Es ist aber mehr religiös als philosophisch und untersucht in Demut und Distanz die Beziehung an sich ―zwischen Menschen und zwischen Mensch und Gott ― und holt dabei vieles aus dem Judentum und auch der Kabbala. Ein wenig »heideggert« jedoch Buber auch (das »wesende Wort«). Der Autor hat schön gesehen, dass (damals schon) die Es-Welt mit ihren Dingen, die zu erfahren und zu gebrauchen sind, uns immer mehr überschwemmt und dem Du entfremdet.

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Ein paar untereinandergestellte Zitate mögen den Rang von Ich und Du erläutern:

Die Grundworte sind nicht Einzelworte, sondern Wortpaare.

Den Menschen, zu dem ich Du sage, erfahre ich nicht. Aber ich stehe in der Beziehung zu ihm, im heiligen Grundwort.

Gefühle werden »gehabt«; die Liebe geschieht. Gefühle wohnen im Menschen; aber der Mensch wohnt in seiner Liebe. Das ist keine Metapher, sondern die Wirklichkeit: die Liebe haftet dem Ich nicht an, so dass sie das Du nur zum »Inhalt«, zum Gegenstand hätte; sie ist zwischen Ich und Du. 

Die Geschichte des Einzelnen und die der Menschengattung stimmen … in dem einen jedenfalls überein, dass sie eine fortschreitende Zunahme der Eswelt bedeuten. …Das Grundverhältnis des Menschen zur Eswelt umfasst das Erfahren … und das Gebrauchen …

Geist ist Wort. … der Mensch steht in der Sprache und redet aus ihr, – so alles Wort, so aller Geist. Geist ist nicht im Ich, sondern zwischen Ich und Du. Er ist nicht wie das Blut, das in dir kreist, sondern wie die Luft, in der du atmest. … Nur das Schweigen zum Du, das Schweigen aller Zungen … lässt das Du frei. … Alle Antwort bindet das Du in die Eswelt ein. 

Man findet Gott nicht, wenn man in der Welt bleibt, man findet Gott nicht, wenn man aus der Welt geht. Wer mit seinem ganzen Wesen zu seinem Du ausgeht und alles Weltwesen ihm zuträgt, findet ihn, den man nicht suchen kann.

Dass du Gott brauchst, mehr als alles, weißt du allzeit in deinem Herzen; aber nicht auch, dass Gott dich braucht, in der Fülle seiner Ewigkeit dich? Wie gäbe es den Menschen, wenn Gott ihn nicht brauchte, und wie gäbe es dich?

Wir dürfen sagen: Gott und der Mensch, die Wesensgleichen, sind die unaufhebbar wirklichen Zwei, die Träger der Urbeziehung … Gott umfasst das All, und ist es nicht; so aber auch umfasst Gott mein Selbst, und ist es nicht. Um dieses Unbesprechbaren willen kann ich in meiner Sprache, wie jegliches in seiner, Du sagen; um dieses willen gibt es ich und Du, gibt es Zwiesprache, gibt es Sprache, gibt es den Geist, dessen Urakt sie ist, gibt es in Ewigkeit das Wort.

Die Geschichte ist eine geheimnisvolle Annäherung. Jede Spirale ihres Wegs führt uns in tiefres Verderben und in grundhaftere Umkehr zugleich. Das Ereignis aber, dessen Weltseite Umkehr heißt, dessen Gottesseite heißt Erlösung.

 

Martin Buber, Ich und Du, Reclam Stuttgart, 1995 (nach der Ausgabe 1983)

 

 

 

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