Straße der Schande
Die Unterdrückung der Frau lag dem japanischen Regisseur Mizoguchi Kenji (1898-1956) sehr am Herzen. Sein letzter Film Street of Shame (Akasen chitai, 1956) spielt in einem Bordell der Großstadt, in der »Straße der Schande«, und gezeigt wird uns ein Ausschnitt aus dem Leben der fünf Angestellten, deren Routine durch das drohende Verbot der Prostitution im Ruin enden könnte.
Das Parlament will über einen dementsprechenden Antrag abstimmen. Der Chef, ein seriös wirkender, den gutmütigen Patriarchen spielenden Geschäftsmann ereifert sich heuchlerisch: »Was wollt ihr denn machen ohne diese Arbeit? Wie willst du deinen kranken Mann versorgen, du deinen halbwüchsigen Sohn, du deine Schulden abzahlen? Wir vom Metier leisten die echte Sozialarbeit!«
Die schön gekleideten Nutten rennen gemeinhin auf die Straße und versuchen nicht nur, Kunden rufend zu überreden; nein, manchmal zerren sie sie sogar in das »Dreamland«. Eine der Damen hat ein krankes Kind und einen arbeitslosen Mann; die andere sehnt sich nach der Heirat mit einem Verehrer; die dritte nimmt einen aus, der sie anbetet und mit ihr zusammenleben will, hält ihn unter Vorwänden hin und versucht, viel auf die hohe Kante zu legen; die vierte versucht, ihren Sohn zu erreichen und bei ihm einzuziehen; und dann ist da noch Mickey, ein verwöhnter und kapriziöser Neuzugang, gespielt von der wunderschönen Kyô Machiko, die in Kurosawas Rashomon mitwirkte und in den 1950-er Jahren die erste Femme fatale auf der japanischen Leinwand war. Nach einer glanzvollen Karriere starb sie 2019 mit 95 Jahren. (Wir schreiben die japanischen Namen übrigens so, wie die Japaner es tun: den Nachnamen zuerst.)
Das Damoklesschwert des Bordellverbots. Die Ereignisse eskalieren. Die Heiratswillige tut ihren Schritt, beneidet und betrauert von den anderen; doch nach zwei Wochen kehrt sie reumütig und weinend zurück: Der Verehrer war arm und ließ sie schwer arbeiten, und er liebte sie nicht. Yumeko trifft endlich ihren Sohn, der das Gerede der Nachbarn nicht mehr erträgt und sie anschreit: »Ich hasse dich! Du dreckige Hure! Du bist meine Mutter nicht mehr!« Daraufhin wird sie verrückt. Yorie hat 150.000 Yen eingesteckt, will aber nicht mitgehen mit ihrem Freier, will noch mehr, und dann schleppt er sie zornig durch die Gänge, und sie stirbt. Mickey bekommt Besuch von ihrem Vater, einem dicken Bürger, der sie zurückholen möchte, da sonst die Hochzeit seines Sohnes in die Binsen geht. Sie ist entsetzt: Ihre Mutter war vor einem Jahr gestorben, der Vater hat bald danach wieder geheiratet, eine Geisha. Diese Doppelmoral kann Mickey nicht ertragen. Sie wirft ihren Vater hinaus und bleibt.
Am Ende fällt der Antrag im Parlament durch. Alle können weitermachen. Der Chef und die Puffmutter machen eine Flasche auf. Und wieder schwatzt der reiche Bordellbesitzer von seiner sozialen Ader und den Verdienstmöglichkeiten der Mädels, aber die Begeisterung hält sich in Grenzen, die Stimmung ist gedrückt.