Was sich Deola denkt
Die Puttana contadina von Cesare Pavese (1908-1950) ist nicht so überzeugend, nehmen wir besser Pensieri di Deola. Ich übersetze es mal (und auf so etwas freue ich mich immer). Mal Atem holen nach den manipogo-Texten mit ihren bedeutenden Gedanken; andererseits denke ich mir: Wieviel steht doch in einer deutschen Tageszeitung, jeden Tag: ein Vielfaches von manipogo, vielleicht tausend Mal so viel (doch alles so verdünnt und oberflächlich: unbedeutend).
Was Deola sich denkt
Deola verbringt den Morgen im Caffè
von niemandem beachtet, denn zu dieser Stunde in der Stadt sind alle
unterwegs, die Sonne ist noch frisch nach ihrem Aufgang. Auch Deola braucht
niemanden, sie raucht gelassen und genießt die Luft der Frühe.
Als sie in der Pension war, schlief sie sonst um diese Zeit,
um wieder Kraft zu haben; die Matte auf dem Bett
war schmutzig von den Schuh’n der Arbeiter und der Soldaten,
Kunden, die das Kreuz dir brechen; bist du solo, geht es anders,
die Arbeit ist dann manchmal fein und strengt nicht an,
Der Herr von gestern, der so früh erwachte,
hat sie geküsst und mitgenommen (ich würde gerne, meine Liebe,
nach Turin mit dir, wenn’s ginge) auf den Bahnhof,
damit sie Gute Reise ihm dort wünschen konnte.
Betäubt ist sie, doch diesmal frisch,
sie mag es, frei zu sein, Deola, ihre Milch zu trinken
und ein Brioche zu essen. Heut morgen ist sie eine halbe Dame,
und den Passanten schaut sie nach aus purer Langeweile.
Zu dieser Stunde schlafen sie in der Pension, es riecht ein wenig stickig
— die Chefin ist grad draußen —, wie blöd, dort drin zu sein!
Du machst die Runde der Lokale, musst dich zeigen,
du bist erst dreißig; in der Pension geht, was dir bleibt, für Miete drauf.
Deola zeigt dem Spiegel ihr Profil
und sieht sich an im klar geputzten Glas. Blass ist sie schon,
und das macht nicht der Rauch im Raum. Sie runzelt ihre Stirn.
Es braucht die Lust, wie die Marí sie hatte, um’s auszuhalten
in der Pension (denn, liebe Frau, die Männer
kommen hier, um Launen auszuleben, die weder ihre Frau
noch die Geliebte ihnen gönnt) und Marí war tätig
unermüdlich, mit Schwung und voll Gesundheit.
Die Passanten vorm Caffè, sie stören Deola nicht,
sie arbeitet ja nur am Abend, erobert zäh,
umspielt von der Musik in dem Lokal. Wirft Blicke
einem Kunden zu, sucht seinen Fuß, wie schön sind die Orchester,
sie machen sie zur Hauptdarstellerin in einer Liebesszene
mit einem reichen jungen Mann. Es reicht ihr ein Klient
an jedem Abend, und sie kann gut leben. (Vielleicht hätte der Herr von gestern
mich wirklich mit sich fortgenommen). Allein sein, wenn es ihr gefällt,
am Morgen, im Caffè dann sitzen, einfach so. Niemanden brauchen.
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Da fällt mir zum Thema noch ein, wie meine Appenzeller Velo-Freunde, wenn sie etwa ein beeindruckendes altes und gut hergerichtetes Rad sehen, wie aus einem Mund ausrufen: »Huureschön!« Das sagt man so unter sich und über schöne Objekte. Weil Huren ja immer begehrenswert wirken wollen und sich dafür aufbrezeln, wie der schöne bayerische Ausdruck lautet.