Schnurren in Staufen
Fasnetsunntig ist heute. So heißt das in Baden. Fasnet ist Fasnacht, Mentig ist der Montag, Ziischtig der Dienstag, Sunntig natürlich der Sonntag. An diesem, heute, ist Faschingstreiben, auch in der Staufener Stadt, nach 20 Uhr. Die Schelmenzunft Staufen kündigt an: »Wer verkleidet kunnt, kann a Preis gwinne.« Verleihung um 23.30 Uhr. Ja, Leute, macht das doch.
Überall im »Städtle« soll »geschnurrt« werden, und die Zunft gibt dankenswerter Weise im Dorfblättli an, was das heißt. Die Passage ist auf Alemannisch, verwandt mit dem Schwyzerdütsch, für das es auch keine offizielle Umschreibung gibt. Ich zitiere also: »De Narr spricht unvermummte Mitbürger uf de Stroß oder im Gasthus, ggf. mit verstellter Stimm a. Er kann hinter de Maske gradrus d’Meinung sage … oder eifach Unsinn schwätze. Der Geseiti soll allerdings niemois verletzend oder gar ehrenrührig si.« (Aus dem Staufener Schnurre-Lexikon, 2003)
»Unvermummte Mitbürger«, das ist gut. Das »ggf.« (gegebenenfalls) ist weniger gut, das ist kein Wort aus dem Dialekt. Jedenfalls gehört Schnurren zur Ventilfunktion der Fasnacht; ich bin hinter der Maske, ich bin ein anderer, ich kann das sagen, was ich als Unvermummter mich nicht zu sagen traue. Und niemand darf es mir nach der Fasnacht anhängen oder vorwerfen, denn da gelten eigene Regeln.
Es ist laut dem italienischen Anthropologen Carlo Ginzburg der Einbruch der Logik des unbewussten Systems in die normale Logik. Für ein paar Tage oder Wochen gilt die übliche Hierarchie nicht, die Welt ist außer Kraft gesetzt. Da ist auch die Anbahnung von Partnerschaften, sonst schwierigen sozialen Regeln unterworfen, leichter möglich, wie wir morgen hier lesen werden. Man kann »die Sau rauslassen«, wie der Volksmund so schön sagt. Der Esoteriker würde sagen: Ich darf mein inneres Schwein befreien.
Die Maske verbirgt das Einzelwesen, das nun kühn werden darf. Was die Maske ist, weiß ich nicht genau. Gehört sie zum Totenreich, zu den Tieren, soll sie ein überirdisches Wesen darstellen? Sie ist jedenfalls starr und eine Tradition. Im Alltag ist man ja auch hinter seiner sozialen Rolle verborgen, aber Kühnheit ist nicht erlaubt. Die meisten sind irgendwie immer vermummt und auch verdummt. Was würde ich, vermummt, einem unvermummten Mitbürger »auf der Stroß« sagen? Vielleicht nur das: »Vermumme dich nicht!«